„Schluss mit Karneval!“ – Insider-Einblicke von „unserem Mann beim Papst“, Dr. Michael Mandlik/BR

Aufbruchsstimmung im Vatikan vor einem Jahr: Ein neuer Papst ist gewählt, sein Vorgänger überraschend zurückgetreten. Den neuen Mann auf dem Stuhl Petri zeichnet ein ebenso neuer Stil aus und schon bald werden Begebenheiten wie die folgende kolportiert:

VATICAN CONCLAVE 2013, PREPARATIONS
Raum der Tränen mit päpstlichen Outfits. In der Mitte die rote „mozzetta“.
Quelle: Osservatore Romano 2013

Schauplatz ist der sogenannte Raum der Tränen, wo  jeder neu gewählte Papst die Möglichkeit erhält, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, bevor er sich der Weltöffentlichkeit stellt. Auch die Papst-Ausstattung hängt dort bereit, vorsorglich in drei verschiedenen Konfektionsgrößen. 2013 wird nun also  Papst Franziskus eingekleidet. Als ihm Kardinal Marini die „mozzetta“,  den roten päpstlichen Umhang reichen will, soll ihn Franziskus mit den Worten abgewiesen haben; „Die kannst Du selbst anziehen. Jetzt ist Schluss mit Karneval!“ Ob diese Worte wirklich so fielen ist nicht verbrieft, dafür aber ein sichtlich verwirrter Kardinal Marini und ein in schlichtem Weiß gekleidetes neues Oberhaupt der katholischen Kirche auf dem Balkon der päpstlichen Residenz.

Auf_dem_Stuhl

Seitdem bewegt sich einiges im Vatikan. Entsprechend groß war vergangene Woche der Andrang, als das Forum Kirche und SPD zu einem Informations- und Diskussionsabend mit Dr. Michael Mandlik lud, dem Leiter des Studios Vatikan, im Münchner Volksmund auch als „unser Mann beim Papst“ bezeichnet. Seinen Vortrag begann er mit einer packenden, weil detailreichen und plastischen Schilderung der Ereignisse rund um die Abdankung von Papst Benedikt XVI.  Kaum hatte sich damals die Nachricht verbreitet, erhielt Mandlik den Anruf einer Kollegin vom NDR, die ihn mit schönstem Hamburger Akzent und großer Verwirrung  fragte: „Herr Mandlik, ist das jetzt ein Scherz?“  

Hl_Stuhl_Vakanz
2013 zwei Monate Vakanz des Hl. Stuhls

Dabei war der mediale Paukenschlag des Papstes von den meisten Pressevertretern vor Ort zunächst gar nicht registriert worden, da Benedikt ihn in Latein verkündet hatte. Es folgte die Frage: „Darf ein Papst das überhaupt?“ Antwort Mandlik: „Er darf nicht nur, er MUSS sogar, wenn er sich nicht mehr in der Lage sieht, nach bestem Wissen und Gewissen sein Amt auszuüben. “ Die Bereitschaft zur Abdankung hatte der Papst schon in dem Buch von Peter Seewald „Das Licht der Welt“ anklingen lassen.

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Michael Mandlik erinnerte uns Zuhörer in diesem Zusammenhang daran, wie angeschlagen Benedikt XVI. schon in den Monaten zuvor gewirkt hatte. Und tatsächlich sei er , als sich die Tore der päpstlichen Residenz Castel Gandolfo zum letzten Mal hinter  ihm schlossen, am Ende seiner Kräfte gewesen.

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Vorkonklave 2013/Kardinal Bergoglio

Der eigentlichen Papstwahl ging ein Vorkonlave voraus, zu dem sich zahlreiche Kardinäle zur Beratung einfanden. „Dabei müssen die Fetzen geflogen sein“, so Mandlik. Die kirchlichen Würdenträger hätten sich erschüttert von den jüngsten Affären im Vatikan gezeigt und dies mit einem sinngemäß geäußerten „Was ist da eigentlich bei Euch los?“, bekundet,  so Mandlik. Wie könne man künftig dem Papst noch vertrauliche Botschaften zukommen lassen, wenn zu befürchten stünde, diese tags darauf in der Presse nachlesen zu müssen? – Vatikleaks & Co. warfen lange Schatten auch auf dieses Treffen, und es bestand allgemeiner Konsens darüber, dass den alten Machtstrukturen im Vatikan ein Ende bereitet werden müsse. Bei dieser Gelegenheit hielt ein gewisser Kardinal Bergoglio eine Brandrede, mit der er sich offensichtlich als Papst empfahl, nachdem er bereits 2005, bei der Wahl Benedikts, dessen größter Konkurrent gewesen war …

Benedikt_XVI_weiß
Papst_verschmitzt
Papst_weiss

In Zusammenhang mit den Skandalen der jüngsten Vergangenheit dürfe man übrigens nicht vergessen, so Mandlik weiter,  dass  bereits Papst Benedikt den Anspruch formuliert habe,  die Strukturen von Vatikan und Vatikanbank aufzubrechen und nach europäischen Kriterien zu reformieren. Ebenso wies Mandlik darauf hin, dass bereits unter Benedikt XVI.  an die 400 Priester in Zusammenhang mit den Mißbrauchskandalen entlassen worden waren, eine Maßnahme die in der  Öffentlichkeit kaum Beachtung gefunden hatte.

BadMenge

Eindrücklich skizzierte Mandlik auch die Stimmung auf dem Petersplatz, als sich der neue, noch weitgehend unbekannte Papst vorstellte. Es war zunächst mucksmäuschen still, bis der Papst mit seinem herzlichen „buona sera“ und der Aufforderung für ihn zu beten, das Eis brach und die Menge auf Anhieb für sich eroberte.

Von Anfang  an setzte er neue Akzente: So zahlte er persönlich seine Rechnung im Gästehaus, fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder einem alten R4 und kleidete sich so schlicht, dass sich einige Kardinäle recht peinlich berührt fühlten, als sie bei gemeinsamen Terminen feststellen mussten, wesentlich prunkvoller gestylt zu sein, als ihr Oberhaupt. Auch Limousinen würden, so Mandlik, von den kirchlichen Würdenträgern höchstens noch in der Heimat gefahren, im Vatikan gehe der Trend inzwischen eher zum Kleinwagen …

Mandlik veranschaulichte auch  auf  unterhaltsame Weise, wie Franziskus seiner Leibwache regelmäßig Alpträume bereitet, wenn er wieder einmal allen Sicherheitsregeln zum Trotz ein Bad in der Menge nimmt und dies möglicherweise noch dadurch toppt, dass er sich unangemeldet auf ausländischen – weil italienischen – Boden  begibt. „Dieser Mann macht, was er will“, folgerte Mandlik.

Papst_Kardinaele_Bischoefe
Neue Bescheidenheit
Fusswaschung
Papst nimmt rituelle Fußwaschung an jugendlichen Straftätern vor

Michael Mandlik bezeichnete Franziskus als einen Papst „ganz nah an den Menschen“, nicht zuletzt auf Grund seines langjährigen Einsatzes in den Slums von Buenos Aires. Dazu merkte Gertraud Burkert, Münchner Ehrenbürgerin und Bürgermeisterin a.d. an, dass Franziskus dabei sicherlich sein Background als Jesuit zugute komme.

Benedetto XVI + Papa Francesco
Zwei Päpste, zwei Stile, ein Strang

Ganz anders verhielt es sich mit seinem Vorgänger, der weniger als Menschenfänger und mehr als Gelehrter gepunktet und – Zitat Mandlik: „professoral die Kirche auf ein theologisch höheres Niveau gebracht habe“, unter anderem durch die vielen Publikationen während seines Pontifikats. Insofern hat Franziskus bei Amtsaufnahme ein „Fundament betreten, welches sein Vorgänger bereitet hat“,  mit dem sich Franziskus theologisch ganz auf einer Linie befindet.“

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Papst Benedikt XVI. begrüßt Kardinal Bergoglio, seinen späteren Nachfolger

Als absolutes Novum und nicht zu unterschätzenden Vorteil betrachtet Mandlik die Tatsache, dass erstmalig ein elder statesman dem aktuellen Papst beratend zur Seite steht, einer, der die Situation des Vatikans selbst erlebt hat und seinen Erfahrungsschatz nun dem Nachfolger zur Verfügung stellt, statt sein Wissen, wie bislang der Fall, mit sich ins Grab zu nehmen. Bekanntlich  hat Papst Benedikt em. Papst Franziskus sogar ein umfangreiches Geheim-Dossier übergeben, mit wertvollem Insiderwissen zu den Hintergründen von Vatikleaks, internen Seilschaften und sonstigen Misständen und Machenschaften im Kirchenstaat.

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Unter Kardinal Bertone führte das vatikanische Staatssekretariat quasi ein Eigenleben


Daher wundert es Mandlik nicht weiter, dass Papst Franziskus, abgesehen von seinem Hang zu bescheidener Lebensführung, auch angesichts dieser Informationen entschied: In diesen 3. Stock ziehe er nicht ein

Mandlik geht davon aus, dass der tatkräftig begonnene Reformprozess keinesfalls noch während Franziskus Amtszeit beendet werden könne. Ganz entscheidend sei also, wer wiederum Franziskus  Nachfolge antrete.

PapstKreuz

Das „Forum Kirche und SPD“ schreibt auf der Homepage: Ein Jahr Pontifikat Papst Franziskus hat für den Vatikan und die Katholiken in aller Welt viele Überraschungen gebracht. Franziskus scheint es ernst zu meinen mit dem Bestreben nach Erneuerung der Kirche. Dafür spricht auch sein Schreiben Evangelii Gaudium.

In der Gesprächsrunde mit den Gästen wurde in diesem Kontext u.a. nochmals der päpstliche Wille einer „armen Kirche“ analysiert. Mandlik erläuterte, dass Franziskus die Priesterschaft aufgefordert habe, selbst die Armenviertel aufzusuchen, um sich ein Bild des menschlichen Elends vor Ort zu machen. Und: Die Kirche solle das Geld sinnvoll für die Armen nutzen, aber solcherart, das sie auch noch „morgen“ für sie sorgen könne. Dieses Nachhaltigkeitsgebot setze jedoch einen Erhalt der kirchlichen Macht und somit eines dazu notwendigen kirchlichen Vermögens voraus.

Der Papst strebt auch eine Dezentralisierung an, wie ebenfalls aus „Evangelium Gaudium“ hervorgeht. Zitat Wikipedia: Im Teilabschnitt „Anliegen und Grenzen dieses Schreibens“ erklärt er, es sei nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetze, die in ihren Gebieten auftauchten. In diesem Sinn spüre er „die Notwendigkeit, in einer heilsamen ‚Dezentralisierung‘ voranzuschreiten“.

Im weiteren Diskussionsverlauf wurde nochmals auf die Wichtigkeit hingewiesen, Glaubensgrundsätze FÜR die Menschen zu entwickeln und auf die Unvermeidbarkeit eines Abebbens der jetzigen Papst-Euphorie. Auch Benedikt sei zu Beginn seiner Amtszeit bejubelt worden, aber irgendwann stelle sich unweigerlich der  „Obama Effekt“ ein, also der Moment, an dem die Realität jeden Hoffnungsträger einhole. Es gelte dann vielleicht, unliebsame Wahrheiten zu verkünden oder harte Maßnahmen zu ergreifen, etc. Darüber hinaus werde sich der der Reformprozess sicherlich  in die Länge  ziehen …

Papst vis à vis seines visionäres Vorgängers, Papst Johannes XXIII

Momentan aber ist das vorherrschende Gefühl, das ich an diesem Abend, wie auch in zahlreichen Gesprächen und Medienberichten erlebte und erlebe, ein Gefühl der Hoffnung wie zuletzt unter Papst Johannes XXIII.. Seine reformatorischen Visionen hatten Anfang der 60er Jahre  kurz zu einer  Aufbruchstimmung in der katholischen Kirche – und darüber hinaus – geführt, die Franziskus nun aufgreifen und zu einem guten Ende führen könnte.
Vielleicht entwickeln sich ja tatsächlich aus berührenden Gesten und Worten nachhaltige Reformen, angestoßen durch die Zusammenarbeit zweier Päpste und erst möglich geworden durch die kluge Entscheidung des einen, rechtzeitig zurückzutreten …


Nachtrag 2021

Leider sind die vielen Hoffnungen derzeit ins Stocken geraten … Insbesondere was den Umgang seitens des Vatikans mit dem Missbrauchskandal anbelang …


Weitere Links:


Dr. Michael Mandlik, Studioleiter Vatikan (BR)
 
Forum Kirche und SPD >>> www.forum-kirche-und-spd.de



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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