„Ohne Künstler und Kunstschaffende wäre keine Stadt lebenswert“ – Abschied von Dr. Angelika Baumann im Kulturreferat

Als “Mittelweg ohne Gold” bezeichnet der Satiriker Ephraim Kishon die vielen Kompromisse, die ich, wie viele Kunstschaffende, eingehen muss, um einigermaßen über die – materiellen – Runden zu kommen. Da ich mit einem relativ großen Einfallsreichtum bedacht wurde, beschreite ich meinen “Mittelweg ohne Gold” recht komfortabel, mal mehr, mal weniger, aber irgendwie stetig. Dabei sammle ich die Welt um mich Momentaufnahmen ein, verdichte sie in Ideen und Gefühlen zu einer Vision, die schließlich auf kreative Umsetzung drängt. An diesem Punkt droht der Mittelweg zur Sackgasse zu werden: Zwar sind Gedanken frei und Visionen gratis, in künstlerischer Umsetzung jedoch bitten sie zur Kasse. Vor diesem Dilemma findet man sich als Kunstschaffender des öfteren wieder, selbst wenn das Auskommen an sich einigermaßen gesichert ist. Aber wie darüber hinaus die eigenen Herzblut-Projekte realisieren? Was, wenn das neueste Projekt partout produziert werden will? Wenn dem eigenen kleinen Theater das Aus droht? Wenn einem das Atelier gekündigt wurde?

Man hofft inständig auf eine Förderung durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und nicht selten erscheint einem eine solche Förderung als letzter Ausweg. Mit entsprechend großer Emotionalität werden Ablehnungen daher aufgenommen, als große Katastrophe und persönlicher Affront. Nur zu gut weiß ich aus eigener Erfahrung, wovon ich hier schreibe 😉 Nicht der Kopf durch die Wand, sondern der Schritt durch die Tür hat mich dann schrittweise mit den Strukturen und Richtlinien des Kulturreferats vertraut gemacht – und mit einer ganzen Reihe MitarbeiterInnen, die Jon Michael Winkler und mir durchaus nicht immer mit Fördermitteln, aber auf jeden Fall mit Ratschlägen und Kontakten weiter geholfen haben.

Eine wichtige Ansprechpartnerin für den jourfixe-muenchen war seit einigen Jahren Frau Dr. Angelika Baumann, Abteilungsleiterin der Abt. 1 – Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Film, Literatur, Musik, Stadtgeschichte und Wissenschaft.

Als ich erfuhr, dass Frau Dr. Baumann am 1. September aus dem Amt scheidet, bat ich um ein Abschieds-Interview für den jourfixe-Blog. Nachstehend finden sich in Zusammenfassung unser Gespräch sowie Links zu O-Tönen. Das Interview wirft einen Blick zurück auf die beinahe 25 Jahre, in denen Frau Dr. Baumann Kultur in München mitgestaltet hat. Darüber hinaus beinhaltet das Gespräch eine Reihe von Informationen zu Aktivitäten und Richtlinien des Kulturreferats.
Jon Michael Winkler, unser Erster Vorsitzender und ich haben in den vergangenen sechs Jahren Frau Dr. Baumann als offene Ansprechpartnerin mit Kompetenz UND Herz schätzen gelernt. Durchaus – wie schon in anderen meiner Blog-Beiträge thematisiert – keine Selbstverständlichkeit in der Kulturszene.
 
Dafür, liebe Frau Dr. Baumann, danken wir Ihnen! Ebenso für das Interesse, mit dem Sie unsere Produktionen verfolgt haben, ob im Rahmen von Kooperationen oder direkt im Publikum. Sie werden uns fehlen!

Bereits seit 1990 ist die promovierte Historikerin für das Kulturreferat tätig. Damals wurde erstmalig eine Stelle für kommunale Geschichtsarbeit ausgeschrieben. Dr. Angelika Baumann, damals noch TV-Redakteurin, bewarb sich mit Erfolg und betrat mit diesem Aufgabenbereich absolutes Neuland, mit entsprechend großem Gestaltungsfreiraum, was sie als besonders reizvoll empfand.

Mit der Zeit übernahm Frau Dr. Baumann die Betreuung einer Reihe von Großprojekten in ihrem Fachgebiet, so beispielsweise 2002 die Vorbereitungen für das Jüdische Museum in München.

Ebenso hatte Frau Dr. Baumann daran mitgewirkt, die Grundsatzbeschlüsse des Münchner Stadtrats zu einem NS-Dokumentationszentrum in München vorzubereiten und das Projekt maßgeblich begleitet.

Besonders in Erinnerung geblieben ist Frau Dr. Baumann die sogenannte „Wehrmachtausstellung“ von 1997. In Absprache mit ihrem Chef, dem damaligen Kultureferenten Siegfried Hummel, hatte Frau Dr. Baumann die Ausstellung selbst nach München geholt und in historischen Bezug zur Stadt gestellt.  Diese erste Wehrmachtsausstellung, ebenso wie eine zweite, die in überarbeiteter Fassung später im Stadtmuseum gezeigt wurde, blieben monatelang Stadtgespräch, wobei die teilweise leidenschaftlich Pro und Contra ausgetragenen Diskussionen  zu einer intensiven zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung führten.

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2005 übernahm Frau Dr. Baumann, zusätzlich zu ihrem Aufgabenbereich, die Abteilungsleitung für alle Sparten der Kulturförderung, mit Ausnahme der  Bereiche „Stadtteilkultur“, der „kulturelle Bildung“ und „urbane Kultur“. Ein sinnvoller Zusammenschluss, durch welchen die Kommunikationswege optimiert wurden. Dennoch blieben und bleiben die finanziellen Mittel begrenzt. Es sei immer zu wenig Geld da, um allen Anträgen gerecht zu werden, räumte Frau Dr. Baumann ein und betonte ausdrücklich, dass sie die Frustration abgewiesener Kunstschaffender sehr gut nachvollziehen könne, aber …

In Folge sprach ich an, dass sich speziell die Freie Musikszene, nicht zuletzt gegenüber der Theaterszene, als ein Stück weit benachteiligt fühle, worauf Frau Dr. Baumann eine Reihe von Bereichen aufzählte, in denen sich das Kulturreferat speziell für die Förderung von Musik einsetzt und nannte als zukunftsnahe Maßnahme die Schaffung von Proberäumen für MusikerInnen, da hier dringender Bedarf zu beobachten sei.

Auf die Frage hin, ob es spezielle Situationen im Kulturreferat gebe, die ihr besonders gegenwärtig seien, berichtete Frau Dr. Baumann, dass immer wieder Künstler in recht verzweifelten Lebenslagen und besonders häufig an Freitagen, wohl mit dem Wochenende vor Augen, bei ihr vorgesprochen hätten. Diese Anfragen führt Frau Dr. Baumann auch darauf zurück, dass in der Künstlerszene das Kulturreferat inzwischen verstärkt als Partner wahrgenommen werde, in der Lage, in prekären Situationen weiterzuhelfen; zwar nicht immer mit Geld, aber durchaus mit Kontakten und Tipps. (Dass sich für solche Anliegen jedoch gerade der Freitag NICHT zu einem“ Jour Fixe“ entwickeln sollte, versteht sich … 😉 )

In diesem Zusammenhang appellierte Frau Dr. Baumann, sich unbedingt über Förderrichtlinien auf der Homepage des Kulturreferats zu informieren. Nachstehend der Link
http://www.muenchen.de/Kulturfoerderung
Frau Dr. Baumann schloss mit einem Appell an die Künstler zu mehr Selbstbewusstsein und empfahl zugleich, sich dem Markt nicht zu verschließen.

„Ohne seine Künstler und Kunstschaffenden wäre keine Stadt lebenswert „, so Frau Dr. Baumanns Fazit.



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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