Dusko Goykovich der Meister der 5 Bs – Portrait zum 85. Geburtstag von Marcus Woelfle

Man glaubt es kaum, wenn man ihn in seiner wesentlich jüngeren Ausstrahlung auf der Bühne erlebt, aber am 14. Oktober 2016 feiert Dusko Goykovich seinen 85.Geburtstag. Er ist nicht nur einer der international erfolgreichsten Musiker seiner Wahlheimat München, er ist auch einer der vielseitigsten und hat längst einen festen Platz in der Jazzgeschichte. Zum einen ist er ein bedeutender Pionier in der Verbindung von Jazz mit balkanischen Musikelementen und damit ein Vorreiter der Emanzipation des europäischen Jazz. Zum anderen verlief ein wichtiger Teil seiner Laufbahn in Amerika bzw. an der Seite von Amerikanern wie Woody Herman oder Kenny Clarke. Geprägt wurde er auch vor allem von amerikanischen Trompetern und kaum einer kann so authentisch amerikanisch klingen wie er.

Der Zwiespalt zwischen dezidiert europäischem Jazz und amerikanischer Tradition, wie wir ihn in der letzten Zeit so oft erleben, in Duskos Musik ist er überwunden.

„Jazzman“ Marcus A. Woelfle

Für mich ist Dusko Goykovich der Meister der 5 Bs, denn es gibt mindestens fünf Sparten mit dem Anfangsbuchstaben B, die er bestens beherrscht:

  • Zunächst einmal ist er berühmt für seelenvolle Balladen, die ihn zu einem Geistesverwandten von Miles Davis machen.
  • Das zweite B steht für Bebop, denn er ist ein Trompeter, der mit Feuer und Finesse in der Tradition von Dizzy Gillespie, Clifford Brown und Lee Morgan spielt.
  • Das dritte B steht für Bigband, denn er hat Zeit seines Lebens immer wieder bedeutende Bigbands bereichert oder geleitet.
  • Als viertes B ist das balkanische Element zu nennen.
  • Das fünfte B wurde vor allem in den letzten Jahren (etwa seit „Samba do Mar“, 2003) immer offenbarer. Er schwimmt in der brasilianischen Bossa wie ein Fisch im Wasser.
  • Wer will, kann als sechstes B den Blues hinzufügen; man assoziiert es nicht gleich mit ihm, aber Meilensteine wie Woody’s Whistle (von Dusko 1965 für Woody Herman geschrieben, mit Duskos langjährigen Tenor-Weggefährten Sal Nistico als Solisten), gehören zu den zündenden Blues-Klassikern der Jazzgeschichte.

Seit man ihn nicht mehr einfach als jugoslawischen Trompeter bezeichnen kann, gilt er als Serbe. Es ist ein bisschen verzwickter. Dusko Goykovich erblickte 1931 im bosnischen Jajce das Licht der Welt. Über seine Herkunft hat er einmal erklärt:

Ich bin in Belgrad aufgewachsen, mein Vater war Montenegriner, meine Mutter stammte aus Serbien. Vor diesem Krieg haben wir in Kroatien ein Haus gebaut. Jetzt wurden dort alle Serben rausgehauen, und wir können nicht mehr hinfahren. Es hat nichts genützt, daß ich mit Politik nichts zu tun habe. Für die bin ich Serbe.

Dusko Goykovich

Zu Beginn seiner Laufbahn standen die politischen Zeichen für Jazz ungünstig. Jazz spielen oder auch nur zu hören, war vor der Öffnung Jugoslawiens zum Westen verboten. Er tat es trotzdem und als es erlaubt war, glänzte er mit 19 schon als Mitglied der Bigband von Radio Belgrad. Mit nur sieben Dollar in der Tasche und seiner Trompete unter dem Arm setzte sich Dusko Goykovich 1956 nach Deutschland ab, lebte buchstäblich eine Zeitlang im Frankfurter Jazzkeller und wurde bei uns zu einer Sensation.

Das Mitglied der Frankfurt-All Stars und der Orchester von Max Greger und Kurt Edelhagen lernte in kurzer Zeit nicht nur die deutsche Jazz-Elite kennen, sondern jammte auch mit amerikanischen Gästen wie Dizzy Gillespie oder Miles Davis, zwei seiner wichtigsten Vorbildern.

Im Lauf seiner langen Karriere spielte Dusko mit dem Who is Who des zeitgenössischen Jazz; hier vor einigen Jahren mit Paul Kuhn
Im Lauf seiner langen Karriere spielte Dusko mit dem Who is Who des zeitgenössischen Jazz; hier vor einigen Jahren mit Paul Kuhn, Quelle

1958 kam er als Mitglied der Newport-Youth Band um die Welt und erstmals nach Amerika. Mit diesem Jugendorchester hatte er sogar die Gelegenheit Louis Armstrong und Sidney Bechet zu begleiten.

Zurück in Deutschland, um wertvolle Erfahrungen reicher, konnte man ihn mit führenden amerikanischen Musikern wie z. B. Oscar Pettiford hören, dem Bassisten der frühen Jazzmoderne schlechthin, aber auch mit Legenden des Deutschen Jazz wie Albert Mangelsdorff und Inge Brandenburg – meist Rundfunkmitschnitte, die erst Jahrzehnte später veröffentlicht werden.

Er gehörte also schon zu den, wie man neudeutsch sagt, „angesagten“ Musikern, als er 1961 in die Staaten zog, um – man staune – noch zwei Jahre in Berklee Jazz zu studieren. Dieses Studium nahm er so ernst, daß er selbst Angebote von Count Basie, Stan Kenton und Benny Goodman ausschlug. Danach aber bereicherte er die Orchester von Herb Pomeroy, Maynard Ferguson und Woody Herman. Trotz Anerkennung in den Staaten zog es Dusko Goykovich nach Europa zurück.

Seit 1968 lebt er in München, dessen Jazz-Szene unendlich viel seinen Impulsen verdankt. Bereits seine erste Platte, die er frisch aus Amerika zurück, 1966 einspielte, unter anderem mit Mal Waldron am Klavier war ein Bekenntnis zu seinen Roots: „Swinging Macedonia“. Da gelang ihm die große Synthese, als er südosteuropäischen Geist in Jazz-Form goß. Auf seinem Album “Simple As It Is”, das 1970 im legendären Münchner Jazzclub Domicile eingespielt wurde, sagt er zu seinen Stücken, „sie kommen daher, woher ich komme, aus Serbien, aus Mazedonien. In der Form, in der Behandlung sind sie Jazz, verwenden dessen Techniken.

Dusko Goykovich spielt 1978 im legendären Münchner Domicile mit Joe Haider (p), Mario Castronari (b), Roman Schwaller (sax), Joe Nay (dr), Quelle: schwallerjazz.com
Dusko Goykovich spielt 1978 im legendären Münchner Domicile mit Joe Haider (p), Mario Castronari (b), Roman Schwaller (sax), Joe Nay (dr), Quelle: schwallerjazz.com

Berühmt ist der große Lyriker der Trompete für sein Balladenspiel. Dazu meint er: „Das Balladenspiel ist nicht so einfach. Es hat sehr lange gedauert, bis ich das herausgefunden habe. Die ganzen Elemente: wie man bläst, wie weit man vom Mikrophon weg sein muss, welchen Sound man will und wie man das mit dem Hintergrund vereinigt, mit der Begleitung. Dafür braucht man große Konzentration. Man darf nicht nur Noten spielen, sondern muss wissen, in welchem Moment welche Note wie klingen soll. Wenn ich Balladen spiele, dann schwitze ich unheimlich, weil ich da jeden Ton überlegen muss.“

Bei schnellen Stücken, bei Bebop hat man keine Zeit, jede Note zu überlegen, aber bei langsamen Stücken, da zeigt sich, wie gut du bist.

Dusko Goykovich

Man sollte Dusko – um es dem Anlass entsprechend mit Geburtstagsthemen zu demonstrieren, nicht nur in Standards wie A Child Is Born hören (das er vorbildlich 1971 im Trio mit Tete Montoliu aufgenomen hat), sondern auch mit eigenen Balladen, unter denen sich poetischen Kleinode finden wie In The Sign Of Libra, mit dem der im Sternzeichen Waage Geborene sich selbst portraitiert hat.

Obwohl die überwiegende Zahl seiner Alben, darunter so bekannte wie Samba Do Mar oder Soul Connection (mit dem er 1993 bewegend von Miles Davis Abschied nahm), Combo-Aufnahmen sind, hat sich Dusko Goykovich im Laufe seiner Jahre immer auch der Bigbandmusik gewidmet, zunächst als Sideman, dann als Bandleader, Komponist und Arrangeur. So war er nach seinen Erfahrungen bei Ferguson und Herman ab 1966 Solist der Kenny Clarke – Francy Boland Big Band, des wichtigsten Orchesters, den der Jazz damals in Europa hatte, mit seiner Mischung aus amerikanischen Jazzgrößen und Musikern aus allen Ecken Europas genau der richtige Platz für Goykovich.

In den zahlreichen großorchestralen Klangkörpern, die seither mit seinem eigenen Namen verbunden sind, z.B. einer All Star Big Band, mit der er 2004 „A Handful Of Soul“ vorlegte oder der Bigband RTS, mit der er 2014 „Latin Haze“ aufnahm, springt der Funken seines Enthusiasmus auf eine wißbegierige Schar jüngerer Musiker über, die von seinen Erfahrungen profitieren. 1971 gründete er die Munich Big Band, 1987 bis 1993 leitete er das Landesjugend-Jazzorchester Bayern. Als „Eckpfeiler internationalen Bigband-Geschehens“ hat Jazz-Journalist Thomas Fitterling einmal Dusko Goykovich zu Recht genannt.

Danach begann etwas, was man als Comeback bezeichnet hat. Zwei im Grunde gegenteilige Zeit-Tendenzen haben seither das an seiner Musik gefördert. Einerseits eine allgemeine Akzeptanz und Beliebtheit von Jazz mit nichtamerikanischen folkloristischen Wurzeln. Andererseits eine Strömung zu Gunsten der Tradition der klassischen Moderne im Jazz.

Trompeter wie Miles Davis, Clifford Brown, Chet Baker, Dizzy Gillespie sind Kultfiguren der Jazzhörer und wenn jemand auf eigenständige Weise ihre Tradition fortführt, ja sogar (fast) noch zu ihrer Generation gehört, dann ist es Dusko Goykovich.

„Jazzman“ Marcus A. Woelfle

Nun, Comeback ist das falsche Wort. Goykovich war, abgesehen von einer längeren, schweren Krankheit, nie weg von der Szene. Seit er aber in den 90er Jahren angefangen hat, für das Münchner Plattenlabel Enja regelmäßig, etwa alle zwei Jahre Alben zu veröffentlichen, wurde er international wieder sichtbarer. Oder sagen wir lieber allgegenwärtig.

Nehmen wir das Album „5ive Horns & Rhythm“ von 2010 (Anspieltipp die Samba Tzigane mit ihrer Verbindung zwischen Gipsy-Melodik und brasilianischer Rhythmik, wie sie natürlicher nicht sein kann). Acht Musiker aus ebenso vielen Ländern, nämlich Australien, Bosnien, Deutschland, Frankreich, Italien, Mazendoien, Serbien und den USA trugen zu Duskos Album bei und man kann ohne Übertreibung sagen, dass er selbst zur Szene fast all dieser Länder gezählt werden kann.

Dusko Goykovich mit Jazz-Fotograf Sepp Werkmeister
Dusko Goykovich mit Jazz-Fotograf Sepp Werkmeister

Dusko Goykovich stellt rund 70 Jahre personifizierte Jazzhistorie dar.


Dieser Gast-Beitrag stammt von Marcus A. Woelfle, Kulturjournalist (u.a. Bayerischer Rundfunk) und Jazz-Geiger sowie langjähriges Mitglied der Kulturplattform jourfixe-muenchen.

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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