„Vergiss das Theater und sieh auf das Nô!“ Zur Aufführung der Nô-Trilogie im Meta Theater von Axel Tangerding

„Vergiß das Theater und sieh auf das Nô“, lautete das Motto des Abends, doch – fernöstliche Weisheit hin oder her – an diesem Ort begegnete mir „Theater“ auf so unmittelbare Weise, dass es mir unvergesslich blieb … Ähnlich erging es seinerzeit wohl dem italienischen Regisseur Andrea Paciotto, der sich in der Festschrift „Take A Risk“ erinnert: „We were welcomed into his home and into his theatre, elegant and essential, privileged observers of the work and of the life. The border between the two levels did not exist at all, the theatre merged into the life and vice versa, one nurturing the other. (…)“ An anderer Stelle äußert er, dass jedes Heim ein Herz habe, den Eigenschaften der Bewohner entsprechend … In der Tat schuf Architekt Axel Tangerding ein faszinierend eigenwilliges Heim rund um sein Meta Theater: Im Bauhausstil errichtet und mit viel Holz und weiten Glasfassaden ausgestattet, empfand ich das Gebäude als großzügig Raum spendend, im reellen ebenso, wie im ideellen, kreativen Sinn.

Masako Ohta spielt vor Programmbeginn privat auf dem Flügel
Masako Ohta übt vor Programmbeginn am Flügel

Nach Betreten des Hauses stand ich sofort inmitten jener einzigartigen Mischung aus Alltags- und Theaterleben, die Axel Tangerdings italienischer Kollege so treffend beschrieben hatte: Rechts befand sich ein Küchenbereich, in dem gerade die Getränke für die Gäste bereit gestellt wurden, und an den sich links der Zuschauerbereich anschloss, der über breite Stufen, in einer Art Arena, hinunter bis zum Bühnenbereich führte. Dieser bestand aus einem schlichten, beheizbaren Fußboden, wie mir Axel erläuterte, der vor einer großen weißen Wand endete. Seitlich davon saß die japanische Pianistin Masako Ohta am Flügel und spielte versunken vor sich hin.

Masako Ohta performed mit Stäbchen
Musikalische Performance mit Stäbchen

Mit Masako war ich zufällig kurz zuvor über Facebook in Kontakt getreten und freute mich nun über unser Kennenlernen in ganz realem Theater-Ambiente und über die Gelegenheit, mich ein wenig in das vielseitige Spiel dieser Künstlerin einzuhören, die im Verlauf des Abends unter anderem asiatische Stäbchen einsetzen würde, mit denen sie zunächst das Klavier bediente, um sich dann dieser effektvoll einzeln zu entledigen, ohne dabei die Musik zu unterbrechen.

Jetzt aber, gut eine Stunde vor Programmbeginn, herrschte  jene konzentrierte Geschäftigkeit, die ich im Vorfeld von Veranstaltungen so liebe, weil sie sich ganz im Hier und Jetzt abspielt: Nur der vorbereitende Moment zählt, geprägt von der unausweichlichen Spannung vor dem nächsten Da Capo im Wechselspiel von Bühne und Zuschauerraum. Dessen Ausgang bleibt, auch nach jahrelanger Bühnen-Routine, stets unberechenbar. Daher erlebe ich persönlich auch jeden Auftritt, als handle es sich um mein Bühnendebüt. Sicher habe ich mit der Zeit eine gute Portion Lampenfieber abschütteln können, dank einer gewissen Routine. Die existentiellen Fragen im Vorfeld einer Aufführung beschäftigen mich jedoch, gleichlautend, bis heute: Was wird mir diese Vorstellung  bescheren, menschlich, geschäftlich, künstlerisch? Und wie werde ich mich in den Stunden nach dem Schlussapplaus fühlen? Beseelt? Oder wird mich wieder jene bedrückende Leere erfüllen, die sich so dramatisch anfühlt, obwohl sie, biochemisch betrachtet, nur einem Abbau von Hormonen geschuldet ist?


Den lange schon geplanten Besuch zu einer von Axels thematisch stets besonderen Veranstaltungen hatte ich bislang nicht auf die Reihe bekommen, vor allem, weil sich das Meta-Theater außerhalb Münchens, in Moosach bei Grafing, befindet.

Das Meta-Theater ist auch mit MVV gut erreichbar. Anfahrt (Quelle: Meta Theater)
Das Meta-Theater ist auch mit MVV gut erreichbar. Anfahrt (Quelle: Meta Theater)

Von Grafing aus hatte mich ein Regionalbus eine Viertelstunde lang querfeldein durch bayerische Ländlichkeit chauffiert, bevor er mich an einer Haltestelle im Nirgendwo absetzte. Auf der Straße keine Menschenseele, dafür hübsche kleine Häuschen und ein Gewässer, Bach oder Teich, das mit der Dunkelheit verschmolz … Es ging eine kurze Wegstrecke bergauf, vorbei an Weihnachtslichtern, bis zu einem Gebäude mit der Hausnummer 8, an das sich ein Feld und der Anfang eines Walds anschlossen. Vergeblich hielt ich nach einer Leuchtreklame Ausschau oder irgend einem anderen Hinweis darauf, dass sich hier ein Theater befand, wie es, der Hausnummer entsprechend, der Fall sein musste.

Unauffälliger Eingang, spektakuläres Interieur: Axel Tangerdings META-Theater

Lediglich zwei Plakate rechts und links von einer Haustür, die die Nô-Trilogie ankündigten, wiesen darauf hin, dass ich am Ziel angelangt war. In der Tür steckte ein Schlüssel, so dass ich das Gebäude problemlos betreten konnte. Schnell stellte ich fest, dass sich die etwas umständliche Anfahrt zum Theater gelohnt hatte, denn von Anfang an empfand ich diese Spielstätte als ausgesprochenes Erlebnis, womit ich mich in die Schlange all derer einreihte, die Axels Theaterarbeit über die Jahre beeindruckt hat:

Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, von Donnerstag, 15. Dezember .2016
Das Foto (SZ,  15.12.16) zeigt Tangerding mit Dieter Dorn in der Akademie der Schönen Künste

Am Tag nach meinem Theaterbesuch zeichneten in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste die Kulturlegenden Michael Krüger und Dieter Dorn Axel Tangerding mit der Wilhelm–Hausenstein–Ehrung aus, ein weiterer hochkarätiger Preis, nachdem ihm u.a. bereits 2002, vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, das Verdienstkreuz am Bande der BRD verliehen worden war, sowie 2012 der Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung.

Chapeau! Mir hatten seinerzeit drei Jahre Betrieb meiner im Vergleich unaufwändigen WerkstattBühne (1996 – 1999/Gabelsbergerstr.) so zugesetzt, dass ich bei der ersten sich mir bietenden Gelegenheit die Theaterleitung an den Nagel gehängt hatte, aufgerieben durch den Opportunismus und das kulturelle Unverständnis des eigentlichen Pächters, die Allüren so mancher Künstler und die ständigen finanziellen Engpässe. Das Rampenlicht, das auf Außenstehende so verlockend wirkt, strahlt immer nur flüchtig, so dass man es vor lauter Stress oft nicht einmal richtig wahrnimmt. Arbeit rund um die Uhr für „mau“, inklusive übrigens einer Menge administrativer und so gar nicht künstlerisch-kreativ anmutender Aufgaben, prägen jenen Alltag hinter den Kulissen, den ich gerne mit einem Rodeo-Ritt vergleiche: Früher oder später schmeißt es jede/n oder zumindest fast jede/n… Die Kunst – im doppelten Wortsinn – besteht darin, sich überhaupt eine Weile zu halten und nur einer verschwindend kleinen Gruppe gelingt dies längerfristig mit ihrer Bühne.

Zu diesen wenigen zählt Axel Tangerding. Bei Gründung seines Theaters, 1979, brachte er offensichtlich einen sehr, sehr langen Atem mit, der ihm bis heute nicht ausgegangen ist. Als ich ihm zu seinem Lebenswerk gratulierte, merkte er sinngemäß an: „Nicht auf die Erfolge kommt es an, sondern auf die Rückschläge!“ Ein Teil seines Erfolges lässt sich wohl auf  die Vorzüge eines eigenen, dazu auch noch selbst gestalteten Hauses zurückführen, sowie auf  ein eigenes Konzept, mit dem es ihm nach wie vor gelingt, reichlich Zuschauer_Innen anzuziehen, sogar regelmäßig Münchner Kulturpublikum in die bayerische Pampa zu locken. Das konzeptionelle Anliegen des Hauses findet sich klar formuliert auf dessen Homepage wieder:

"Take A Risk" - akutalisierte Festschrift von 2016, mit vielen Fotos, € 10,- inkl. Versand ISBN 978-3-00-034948-5
„Take A Risk“ – Festschrift -aktualisierte Version von Dez. 2016, Preis € 10,- inklusive Versand-Kosten ISBN 978-3-00-034948-5

Mit seinen Produktionen hat das Meta Theater einen Stil entwickelt, der durch äußerst präzises Zusammenspiel von konzentrierter Bewegungssprache, experimenteller Musik, Sprachpoesie und Lichtraum gekennzeichnet ist. Begegnung im Spannungsfeld eigener und fremder Kulturen findet durch Vermittlung zwischen experimentellen Formen und außereuropäischen Traditionen statt. (…) Die Produktionen des Hauses münden oft in internationale Tourneen. Im Gegenzug gastieren Künstler_Innen aus aller Welt in diesem entlegenen Theater-Idyll. Untergebracht werden sie weitestgehend im Haus selbst, was sicher die Probenarbeit intensiviert. Entsprechend findet, wer in der Festschrift „Take A Risk“ blättert, dort nicht nur Beiträge einheimischer Kultur- oder Polit-Prominenz, sondern auch einen weltweiten Querschnitt von Vertreter_Innen unterschiedlichster Theaterformen: Axel Tangerding spricht in diesem Zusammenhang in einem BR-Interview von „glokal“. Seine Bühne bezeichnet er auch als „Theaterlabor“, in dem er seit jeher mit sehr reduzierten Formen des Theaters experimentiert.

Theaterchef Axel Tangerding am 11.12.16 bei der Einführung zur NO-Trilogie
Theaterchef Axel Tangerding am 11.12.16 bei seiner Einführung zur NO-Trilogie

Diesem Anliegen kommt das japanische Nô-Theater entgegen. Zwar handelt es sich bei „Nô“ um eine 600 Jahre alte Theatertradition, aber:

“ (…) Im Kern ist für mich Nô-Theater Avantgarde, das ist die Reduzierung, die wir ja auch im Westen suchen, in der Kunst (…) Im Westen wurde dies erfunden aus einem eher intellektuellen Ansatz (…) In Japan ist es eben aus einer langen Tradition gewachsen“ , so Tangerding im BR-Interview. Er vergleicht Nô-Theater mit einem Eisberg: „Sie sehen nur die Spitze, aber in den kleinen Bewegungen an der Spitze können Sie die Masse erahnen, die unter Wasser dümpelt und sich träge dahin bewegt. Und so ist es beim Nô-Spieler auch: Mit minimalen Bewegungen, Gesten, bringt er eine Fülle auf die Bühne, die aber nicht gezeigt wird. (…)“

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Akira Matsui in „Takasago“

Obgleich es Sonntag und somit bereits der dritte Aufführungsabend der Nô-Trilogie war, füllte sich das Theater, ein Umstand, von dem so manche Münchner Bühne, an so manchem Abend, nur träumen kann … Allerdings bekommt man auch nicht jeden Tag Einblicke in diese exotische Theaterform geboten, noch dazu mit einem Nô-Meister, wie Akira Matsui, dem 1998  von der japanischen Regierung der Titel „wichtiges immaterielles Kulturgut“ verliehen wurde! Akira Matsui möchte in seinen Darbietungen “… den Stil des Nô unversehrt lassen, doch ich will Nô in einer anderen Form aufführen, so wie es noch nie zuvor gemacht wurde, ich will Nô konfrontieren mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten.”  

Links Kinuyo Kama Solo, Rechts: Akira Matsui, John Oglevee und Kinuyo Kama in „Takasago – Die Zwillingskiefern“


Matsui will die Wandlungsfähigkeit des Nô zeigen, vom traditionellen bis hin zu einem zeitgenössischen Stil. Die Handlungen des Nô-Theaters sind mannigfaltig, eine davon ist das „Göttliche Thema“. (…). Der Held oder Heldin ist Kami (Gott oder Göttin im Shinto), ein Buddha oder eine andere himmlische Gestalt, was am Anfang des Dramas aber noch nicht bekannt ist. Am Ende enthüllt der Held seine Identität und segnet die anderen Handelnden, das Land und die Betrachter. (…)  Mehr > Wikipedia. Entsprechend entpuppte sich in dem Nô-Klassiker Takasago“ – die Zwillingskiefer, der die Trilogie eröffnete, ein altes Ehepaar als Geister der Zwillingskiefern Takasago and Sumioe, Sinnbild für eheliche Verbundenheit. Vor der Projektion einer typischen Nô-Kulisse tanzte Akira Matsui zu Gesängen und Trommel (Kotsuzumi/Chorus) von John Oglevee sowie der Nô-Flöte von Kinuyo Kama.

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Akira Matsui/Marion Niederländer in Samuel Becketts „Rockaby“

Darauf folgte der Einakter „Rockaby“, den Samuel Beckett dem Nô-Theater gewidmet hat, und der vom  Sterben einer alten Frau und dem Schaukelstuhl ihrer Mutter handelt. Den Tanz begleitete Marion Niederländer mit Text-Rezitationen, deren gewollt monotoner Vortrag, mit ständigen Wiederholungen, die Performance von Akira Matsui noch intensivierte.

NO-Meister Akira Matsui während einer Szene im Meta-Theater, 11.12.16
Akira Matsui in „Yuki-Onna“

Den Abschluss bildete Matsuis „Yuki-Onna“, (Die Schneefrau), begleitet von Kinuyo Kama (Flöte) und Masako Ohta am Flügel, eine zeitgenössische Variante des Nō-Theaters.

Langanhaltender Schluss-Applaus
Schluss-Applaus, von links: Marion Niederländer, Masako Ohta, Akira Matsui, Kinuyo Kama und John Oglevee

Vor Antritt meiner Expedition in Axel Tangerdings Theaterwelt hatte mich natürlich sehr die Frage beschäftigt, wie ich anschließend zurück nach München kommen sollte, denn der letzte Bus zur S-Bahn fuhr bereits um 21 Uhr. Axel beruhigte mich. Notfalls würde er selbst seine „auf der Strecke“ gebliebenen Gäste zur S-Bahn fahren; dies sei aber in all den Jahren noch nie erforderlich gewesen, da sich im Publikum immer motorisierte Münchner Gäste fänden. Und tatsächlich trieb er in kürzester Zeit eine Mitfahrgelegenheit auf, die mich nicht nur direttissima bis Haidhausen und fast vor meine Haustür brachte, sondern auch noch anregende Gespräche mit den Autobesitzern, dem Regisseur Martin Kindervater und seiner Frau Franziska mit lieferte.

Nun bin ich gespannt, was das Publikum, zu dem ich mich jetzt auch zähle, in der neuen Saison in Axel Tangerdings kulturellem Hotspot erwartet. Wer sich ebenfalls für das Programm des Meta Theaters interessiert, findet hier den Link zur Newsletter-Anmeldung.


Ende 2016 ist die Broschüre TAKE A RISK, über das Meta Theater,  in aktualisierter und erweiterter Fassung erschienen.

Preis: € 10,- inklusive Versand-Kosten  SOWIE  ISBN 978-3-00-034948-5  sind unverändert geblieben. Baldige Bestellung direkt beim Meta-Theater empfiehlt sich, da bereits die ersten 100 Exemplare bei der Wilhelm–Hausenstein–Ehrung in der Akademie der Schönen Künste unmittelbar verkauft wurden.

Erstmalig herausgebracht wurde die Festschrift „Take A Risk“ 2011 anlässlich von „30 Jahre Meta Theater“. 


Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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