Absage der Tagung „Nahost-Politik im Spannungsdreieck: Israelisch-palastinensische Friedensgruppen als Lernorte für deutsche Politik?“

Dass Versöhnung möglich ist, zeigen die israelisch-palästinensischen Friedensgruppen, die auf Augenhöhe zusammenarbeiten und sich um Ausgleich der Interessen bemühen. Ihre VertreterInnen haben wir nach Tutzing eingeladen und wollen herausfinden, was von ihnen zu lernen ist (…), formulierte auf ihrer Homepage die Evangelischen Akademie in Tutzing. in ihrer Einladung zu obiger Tagung.
Für den 12. bis 14 Mai 2017 hatte die Akademie, in Kooperation mit der Evangelischen Stadtakademie München und mit der Petra Kelly-Stiftung zu obigem Symposium geladen:

Herzliche Einladung, sich an einem Wochenende in der Evangelischen Akademie Tutzing auf einen Perspektivwechsel einzulassen und Wege jenseits der ausgetretenen Pfade kennen zu lernen.


 Als OrganisatorInnen unterzeichneten:
 
Dr. Ulrike Haerendel, Stellv. Direktorin, Evangelische Akademie Tutzing
Jutta Höcht-Stöhr, Direktorin, Evangelische Stadtakademie München
sowie
Judith Bernstein, Publizistin, Friedensaktivistin, München
Ralph M. Deja, Vorstand Chaverim und Diözesanvorstand Pax Christi, München
Alexandra Senfft, Schriftstellerin und Publizistin, Fuchstal 
Gesa Tiedemann, Geschäftsführerin, Petra-Kelly-Stiftung, München
Evangelische Akademie in Tutzing; Foto: Gaby dos Santos, Referentin bei der Tagung „Erster Weltkrieg – Eine europäische Erfahrung„, Dezember 2014

Diese Einladung klang vielversprechend. Es überraschte mich aber auch, dass eine solche Tagung überhaupt angesetzt war, nachdem in letzter Zeit thematisch ähnliche Veranstaltungen regelmäßig be– oder auch ganz verhindert worden waren. Immer wieder war dabei der Vorwurf des Antisemitismus erhoben worden, ein Vorwurf, dessen inzwischen inflationärer Gebrauch ich für gefährlich kontraproduktiv halte, wie ich auch schon in meinem Artikel Verliehen, aber nicht vergeben, 2016, geäußert habe.  Damals wurde der Münchner Sektion der Frauenliga für Frieden und Freiheit, (IFFF/WILPF), der bereits zugesprochene Anita-Augspurg-Preis 2015 in letzter Minute wieder aberkannt, auf massiven Druck seitens Charlotte Knobloch und ihrem Umfeld in der IKG München. Vorgeworfen wurde der IFFF, der BDS-Bewegung nahe zu stehen (“Boycott, Divestment, Sanctions“), die zum Boykott israelischer Waren als politisches Druckmittel aufruft. Von solchen Maßnahmen halte ich persönlich nichts, aber noch viel weniger halte ich von Eingriffen in unser demokratisches Gefüge, zu Lasten der freien Meinungsäußerung, mit der immer gleichen Unterstellung, dass eine kritische Haltung gegenüber der aktuellen Palästina-Politik Israels mit Antisemitismus gleichzustellen und daher in jeglicher (eben auch veranstalterischer) Form zu unterbinden sei.
Und so überrascht es nicht, dass die Vorfreude auf diesen überparteilichen, palästinensisch-israelischen Austausch nicht lange währte. Offensichtlich blieben Angriffe auch gegen diese geplante Veranstaltung nicht aus:
So heißt es – auszugsweise – in einer „Richtigstellung“  von Jutta Höchst-Stöhr auf der Homepage der Evangelischen Stadtakademie München, vom 6.4.17: (…) gibt es infame Verleumdungen im Internet. Dort wird behauptet, wir plädierten für den Boykott Israels, der unter dem Logo BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) von Palästinensern initiiert wurde und dem sich viele, auch Juden und Israelis, angeschlossen haben. Dies ist nicht der Fall. Als Leiterin der Evangelischen Stadtakademie München habe ich mir bei mehreren Reisen und vielen Begegnungen in Israel und Palästina ein Bild über die Lage vor Ort gemacht. Dezidiert finde ich den Beziehungsabbruch von beiden Seiten keine Lösung, also auch nicht den kulturellen oder sonstigen Boykott, der die Zusammenarbeit unter Verdikt stellt. Deshalb haben wir die Tagung in Tutzing so angelegt, dass wir Friedensgruppen eingeladen haben, in denen Israelis und Palästinenser heute noch zusammenarbeiten. (…)

Veranstaltungsfoto „Struggle for a Just Peace in Palestine-Israel“ der East Liberty Presbyterian Church, Pittsburgh,  Quelle

Am 12. April folgte das offizielle – vorläufige? – Aus: Auf der Veranstaltungsseite teilt der Direktor der Evangelischen Akademie in Tutzing, Udo Hahn, mit: (…)Wir haben uns jetzt entschieden, diese Tagung zu verschieben, da es uns nicht gelungen ist, alle für das Thema maßgeblichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in angemessener Zahl zu gewinnen. Wir werden das Thema zu gegebener Zeit wieder aufgreifen.

Judith Bernstein

Dazu schrieb mir die Publizistin und Friedensaktivistin, Judith Bernstein,  eine der OrganisatorInnen der Tagung, in einer ebenso bewegenden wie bewegten Mail: Es ist wirklich ein Skandal, vor allem wenn man überlegt, dass unter den Referenten z.B. Eltern sind, die ihre Kinder im Konflikt verloren haben und dennoch im Dialog stehen und zusammenarbeiten. Wir haben auch einen ehemaligen palästinensischen Widerstandskämpfer eingeladen, der zusammen mit seinem israelischen Partner für den Friedensnobelpreis nominiert ist. Alle Referenten gehören zu den letzten Stimmen, die aus Sorge um die Zukunft beider Völker auf der Suche nach Alternativen zum jetzigen Stillstand sind. Ich frage mich, was ist da „christlich“, wenn solche Leute ausgeladen werden.
„Christlich“ ist der Aspekt, der mich, als Mitglied der EKD, an diesem Vorkommnis besonders beschäftigt, und zu dem ich mich Judith Bernstein gegenüber, in Zusammenhang mit der Absage, geäußert hatte. Dass ein gewisses Taktieren im politischen Geschäft, mit bestimmten Mauscheleien und Rücksichtnahmen – sozusagen als Kollateralschaden – im demokratischen Miteinander dazu gehören, vermag ich nicht immer nachzuvollziehen, habe mich aber damit einigermaßen abgefunden. Von einer Institution wie die Evangelische Akademie wünsche ich mir jedoch  Unparteilichkeit in politisch-weltlichen Hinsicht, zugunsten eben jener Werte, die sie namentlich vertritt.

Prof. Dr. Moshe Zimmermann, Koebner Chair, emeritus, The Hebrew University Of Jerusalem, Foto:

„Dass eine deutsche evangelische Akademie in einem Land, dessen Verfassung die Meinungsfreiheit fest verankert hat, daran teilnimmt, die Meinungsfreiheit von Friedensbewegten aus dem Nahen Osten zu verletzen, bestürzt uns. Die israelische Besatzungspolitik zu kritisieren und das palästinensische Recht auf nationale Selbstbestimmung zu befürworten, ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen und somit durch die Meinungsfreiheit geschützt.“, schreibt am 19.4.2017 Prof. Dr. Moshe Zimmermann, Koebner Chair, emeritus, Hebrew University Of Jerusalem, an den evangelischen Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzenden Prof. Dr. Heinrich Bedford–Strom und an Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie in Tutzing.
Diesen Offenen Brief schreibt er  im Namen aller „Wir, die zur Tagung eingeladenen ‚Intellektuellen aus Palästina und Israel‘ „ – und er schreibt ihn auch in meinem Namen.

NACHTRAG: Gründe zur Absage der Tagung in der Evangelischen Akademie in Tutzing: Kommentar zum SZ-Artikel 21.4.2017



 

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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