Für Stadtrat Thomas Niederbühl der Rosa Liste stellte diese städtische Zeremonie mit Sicherheit eine Sternstunde dar: In pastelligen Farben, in bewusster Anlehnung an den Regenbogen, erinnert ab sofort ein Bodendenkmal der Künstlerin Ulla von Brandenburg an die in der NS-Zeit verfolgten Schwulen und Lesben in München!

Wie Thomas Niederbühl in seiner Ansprache erzählte, währte sein Kampf für eine solche Gedenkstätte über 30 Jahre.
Allein hat er ihn nicht geführt, aber für den nötigen politischen Nachdruck gesorgt, seit er 1996 sein Amt als europaweit erster offen schwuler Stadtrat für die Rosa Liste antrat, die den Anspruch der LGBT-Community in München vertritt, ihr Leben “Ganz normal anders“ zu gestalten.
Das Münchner Stadtmuseum UND die Jüdische Synagoge im Hintergrund, Schwulen und Lesben im Vordergrund, links im Bild Claudia Stamm, ehemalige Landtagsabgeordnete und Gründerin der Bürgerrechtsbewegung „Zeit zu Handeln“, hinter ihr Thomas Niederbühl, der wohl noch immer Europa-weit einzige Stadtrat einer „Rosa Liste“. Dazwischen, unübersehbar in ihrer Aufmachung, Mitglieder Der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz/Abtei Bavaria. Man sollte sich aber durch deren schrill-farbigen Auftritt nicht täuschen lassen über die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens:

(…) „Wir sind Teil einer international tätigen Gemeinschaft, die sich seit 1979 für HIVPrävention, Lebensfreude und gesellschaftliche Gleichstellung von trans-, homo- und bisexuellen Menschen einsetzt
(…)
Man erkennt uns am weiß grundierten Gesicht, das an den Tod durch AIDS erinnern soll. Dazu setzen wir farbliche Akzente, um symbolisch das Leben und die Freunde darzustellen.“ (…)Homepage der „Schwestern“


Li: Eine „Schwester der Perpetuellen Indulgenz/Abtei Bavaria“ mit Kommunalpolitikerin Rita Braaz
Re: Andreas Unterforsthuber/Münchner Regenbogenstiftung, mit einer Schwester, Foto: Spiegel
Überhaupt empfand ich die bunte Mischung des Publikums, die einen guten Querschnitt unserer Stadtgesellschaft abbildete, als ziemlich beindruckend. Wohltuend zahlreich hatten sich u.a. eingefunden, nur um einige zu nennen: VertreterInnen der Stadt, wie die Stadträte Marian Offman (CSU), Haimo Liebich und Christian Vorländer (SPD) und Lydia Dietrich, Beppo Brem und Florian Roth für die Münchner Grünen und Andreas Unterforsthuber von der Münchner Regenbogenstiftung


Foto li: Michael Stephan, Leiter des Münchner Stadtarchivs im weißen Hemd, in der Mitte Ulla von Brandenburg, Schöpferin des Denkmals, neben ihr Kulturreferent Hans-Georg Küppers und am Mikro OB Dieter Reiter
Foto re: Stadtrat Christian Vorländer (SPD) mit Thomas Niederbühl (Rosa Liste)
Für die musikalische Umrahmung sorgte der Münchner Regenbogen-Chor, dirigiert von meiner Vereinsfreundin Mary Ellen Kitchens (musica femina München).
Links: Der Münchner Regenbogen-Chor mit Dirigentin Mary Ellen Kitchens;
Foto: Münchner Aids Hilfe via Thomas Niederbühl
Als der Evergreen „Over The Rainbow“ von Judy Garland aus gegebenem Anlass angestimmt wurde, wurde mir ganz und gar emotional zumute, zumal auch meine Freundinnen nicht fehlten:
Sinteza Ramona Röder, die einmal mehr extra aus Ingolstadt angereist war und natürlich Aktivistin Edith Grube.
Li: Erich Schneeberger, Vorsitzender des bayerischen Landesverbands der Sinti und Roma, mit Ramona Röder
Foto: Edith Grube
Die stellte sich mit ihrem „Stolpersteine-Button“ als personifizierte Gretchenfrage in die erste Reihe, vis à vis von OB Reiter und Kulturreferent Hans-Georg Küppers, denn sie kämpft seit Jahren, gemeinsam mit dem Verein „Stolpersteine für München“ um Terry Swartzberg, für die Legalisierung dieser in den Boden eingelassenen Gedenksteine, deren eingravierter Text an Opfer des Holocaust erinnert.
Diese Form des Erinnerns jedoch lehnen deren GegnerInnen gerade wegen der in ihren Augen unangemessenen Bodenlage ab …
Katja und Gunter Demnig, der Schöpfer der Stolpersteine, nahmen ebenfalls an der Eröffnung des LGBT-Denkmals teil
Foto: Edith Grube
Am selben Tag war Bildhauer Gunter Demnig, der Schöpfer der Stolpersteine zusammen mit Frau Katja zur Verlegung 21 weitere Stolpersteine auf privatem Grund angereist und schloss sich danach der Einweihung des Denkmals am Oberanger an. Katja Demnig äußerte später via Facebook:
„Wir freuen uns sehr, dass diese bislang so unbeachtete Gruppe endlich Aufmerksamkeit geschenkt bekommt — auch in München. Deshalb sind wir gerne zur Eröffnung gegangen.“
Katja Demnig auf Facebook, im Sommer 2017
Bei dem neuen Denkmal für die verfolgten Schwulen und Lesben jedoch handelt es sich ebenfalls um ein Bodendenkmal, das bewusst als solches ausgewählt wurde, wie auch aus den Reden von Oberbürgermeister Reiter, Kulturreferent Hans-Georg-Küppers und der Künstlerin selbst hervorging; gerade wegen seiner unmittelbaren Erlebbarkeit durch Begehbarkeit, zudem direkt am Ort des Übergriffs auf die Schwulenkneipe „Schwarzfischer“ (unteres Foto links). 1934, seitens der Nationalsozialisten gelegen.




„Es sind ja nur ein paar farbige Betonplatten an der Ecke Oberanger / Dultstraße – und doch haben sie so viel Bedeutung, wie kaum sonst irgendwo auf der Welt Betonplatten Bedeutung haben.“ (…)
… erinnerte ALBERT KNOLL (nachstehend während seiner Rede), Vorstand des Forum Queeres Archiv München in seinem anschließenden Vortrag im Jüdischen Museum München, von dem ich nachstehend die Kern-Passagen veröffentliche:


„Ich freue mich, dass das Kunstwerk nach so langer Planungszeit endlich fertig geworden ist, ein Tag auf den das Forum Queeres Archiv München, auf den die Rosa Liste und die interessierte Community schon lange gewartet hat. Das Kunstdenkmal ist damit Ausdruck des Willens der Stadt München, die bislang stiefmütterlich behandelte Opfergruppe der homosexuellen Männer und Frauen wahrzunehmen und ihr einen gebührenden Platz in der kommunalen Gedenklandschaft zu gewähren. Das zeugt von Respekt und gleichzeitig auch der Anerkenntnis, dass die nach 1945 fortgesetzte Verfolgung ein Unrecht war, dessen sich die Bundesrepublik bekennen muss.
Vor 25 Jahren noch undenkbar: der § 175 war noch in Kraft, die Rosa Liste noch nicht im Stadtrat; die Bereitschaft in Gesellschaft und Politik, die „vergessenen“ oder besser gesagt, die bis dahin „ausgegrenzten“ Opfer des Nationalsozialismus zu würdigen, war damals nicht gegeben. Das hat sich nun geändert. (…)
Im Sommer 1934 verordnete Gauleiter Adolf Wagner eine groß angelegte Razzia. „Zur Gesunderhaltung unseres Volkes“ – so das Zitat – „muß künftig gegen jede Art der Betätigung widernatürlicher Unzucht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eingeschritten werden.“ Daten aus den Rosa Listen wurden gesammelt, die Einsatzkräfte der Polizei aufgestockt für eine Großaktion, die dann am 20. Oktober 1934 mit aller Gewalt durchgeführt wurde. Parkanlagen und Bedürfnisanstalten wurden durchsucht und alle Gäste aus den Schwulenlokalen „Zum Schwarzfischer“in der Dultstraße und „Arndthof“ am Glockenbach verhaftet. Diese reichsweit erste Großrazzia brachte fast 150 Münchner vor den Vernehmungsbeamten, der entschied, dass jeder Dritte von ihnen „vorläufig in Schutzhaft genommen“ wurde und nach Dachau kam.
Damit war die Aktion noch nicht zu Ende. Im Morgengrauen durchsuchte die Polizei die Wohnungen von Männern, die in den berüchtigten „Rosa Listen“ eingetragen waren, z.B. die des aus Niederösterreich zugezogenen Franz Kopriva, der 1930 hier Arbeit fand. Kopriva stand in der Homosexuellen-Liste der bayerischen Polizei als „Wiederholungstäter“. Im Zuge der Razzia durchsuchten die Beamten seine Wohnung in der Seidlstraße nahe dem Hauptbahnhof und verhafteten ihn und einen Mann, der sich bei ihm aufhielt. Nach zwei Tagen wurde er – ohne Einschaltung der Justiz – ins KZ nach Dachau überstellt. (…) Das Ziel des NS-Staates war es, eine einheitliche Volksgemeinschaft aus dem Boden zu stampfen. (…)
Das Jahr 1945 bedeutete für homosexuelle Männer weder Befreiung noch das Ende von Verfolgung und Kriminalisierung. Viele kamen wieder in Haft, der § 175 war weiterhin gültig. Erst im Jahr 1969 wurde das Totalverbot aufgehoben. 1994 entschied sich der Bundestag für das Ende der strafrechtlichen Diskriminierung und 2002 beschloss er die Rehabilitierung der vor NS-Gerichten verurteilten Männer. Erst jetzt hat die Bundesregierung eine Vorlage zur Rehabilitierung der Männer eingebracht, die aufgrund des Paragrafen 175 in der Nachkriegszeit verurteilt wurden. Eine Hürde für die Aufhebung der Urteile wird dabei bleiben: die Männer werden nachweisen oder bezeugen müssen, dass der Sexualpartner älter als 16 Jahre war, also doch eine Einzelfallprüfung.

Zum Schluss: Ich bedanke mich herzlich bei den Verantwortlichen, die diesen Festakt im Jüdischen Museum ermöglicht haben. Es ist ja nur ein kleiner Sprung vom neuen Mahnmal am Oberanger hinüber zum Jakobsplatz, wo an die Massenvernichtung der Juden erinnert wird. Im unterirdischen Verbindungsgang zur Synagoge sind die Namen der Münchner jüdischen Opfer zu lesen. Mit Sicherheit waren einige Schwule und Lesben darunter. Deren Namen sind uns unbekannt. Wichtig ist aber etwas ganz anderes: es gibt kein Gegeneinander der Opfer / des Opfergedenkens.

Die heutige Raumwahl zeigt vielmehr, dass es ein Hand in Hand derjenigen gibt, die an diese brutalen Zeiten erinnern. Das ist wichtig, denn wie es sich in jüngster Zeit zeigt, die Verharmloser, die Verleugner und die Gegner eines Gedenkens, alte und neue Rechtsradikale formieren sich wieder und fordern uns alle, die wir entschlossen sind, die demokratischen Werte zu verteidigen, zum Handeln heraus. Mahnmale werden mutwillig beschädigt, Juden, Lesben und Schwule sehen sich zunehmend Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt. Wir werden ein waches Auge darauf haben, damit Jakobsplatz und Oberanger weiterhin würdige Orte der Zusammenkunft und des Gedenkens bleiben.“ (…)
ALBERT KNOLL im Sommer 2017

Soweit die bewegende Rede von Albert Knoll, bewegend besonders, wenn man bedenkt und wie auch von Thomas Niederbühl in seiner Eröffnungsrede erwähnt (s. Youtube-Beitrag am Ende), dass der internationale Opferverband in Dachau lange Zeit verhinderte, dass ein Gedenkstein für die homosexuellen Opfer errichtet werden durfte! Auch in Hinblick auf die (meiner Meinung nach unsägliche) Diskussion, ob denn das neue Mahnmal auch verfolgten Lesben gewidmet werden solle, äußerte Thomas Niederbühl, dass es keine Opferhierarchien geben dürfe! Recht hat er, finde ich, schließlich ist und bleibt jedes Opfer eines zuviel!
Video von Wolfgang Troescher zu den Festivitäten

Dass ich an diesem Tag mit der Münchner LGBT-Szene feiern konnte, verdanke ich meinem besten Freund und langjährigen künstlerischen Wegbegleiter Jon Michael Winkler, der mich als schwuler Mann verstärkt für die Gleichberechtigung seiner Communitiy sensibilisiert und zu einem festen Bestandteil meiner Arbeit als Bloggerin, Kulturmanagerin und Medienkünstlerin hat werden lassen.
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