„Dass Jürgen Draeger schon mit 19 Jahren, menschlich wie künstlerisch, den erfolgreichen Textdichter Bruno Balz nachhaltig beeindruckte, wundert mich nicht: Der Schauspieler, Maler und Kultur-Chronist Jürgen Draeger zählt zu den vielseitigsten Künstlerpersönlichkeiten, die mir je begegnet sind. Mitunter höre und sehe ich Jahre nichts von ihm. Lebt jedoch der Kontakt wieder auf, so kann ich davon ausgehen, dass er einmal mehr Überraschendes für mich in petto haben wird, denn diesem Mann gehen Ideen, weitreichende Pläne und künstlerische Inspirationen nie aus!“ schrieb ich 2018 in einem Beitrag über meinen langjährigen Zeitzeugen Jürgen Draeger.
*Nachtrag vom 27. Juni 2022: Leider hat sich inzwischen erwiesen, dass der Ideenreichtum Jürgen Draeger reichlich Schattenseiten barg (s. nachstehender Blog-Link sowie das Textende), weshalb vorliegendes Portrait insbesondere bezüglich seiner Angaben zu Bruno Balz korrigiert werden mussten.
Die veruntreute Vita des schwulen Textdichters Bruno Balz – „Kann denn Liebe Sünde sein?“: Mein Bühnenportrait zu den Schilderungen von Balz-Intimus Jürgen Draeger erweist sich als pseudo-biografisches Narrativ zwischen Halbwahrheiten, Lügen und Legenden!
Zweifel daran, ob die Biografie von Bruno Balz tatsächlich deckungsgleich mit den Schilderungen seines Erben und Nachlassverwalters Jürgen Draeger (+ 2020) sei, hatte ich schon länger gehegt, zunehmend mit jedem neuen, mir bis dato unbekannten Detail, das in einem der Interviews auftauchte, die Draeger kontinuierlich im gesamten deutschsprachigen Raum gab. Auch Micaela Jary Gabriel, Tochter…
Keep readingNachstehender Blogbeitrag vom 22.4.2018 ist daher als Momentaufnahme zu bewerten:
Zu Draeger erschien jüngst ein mehrseitiges Portrait von Björn Stephan, mit Fotos von Urban Zintel, im SZ-Magazin: „Kindheit in Flammen, Erfolge mit Weltstars, Liebe bis zum Tod: Der Schauspieler und Maler Jürgen Draeger hat eine aufregende Biografie. Acht Geschichten aus einem deutschen Jahrhundertleben.“

Die erste besagter Geschichten bildet für Jürgen Draeger und mich seit nunmehr 14 Jahren das Bindeglied: Draegers lebenslange Verbundenheit zu Textdichter Bruno Balz, dessen künstlerisches Vermächtnis er hütet. Als 19jähriger gewinnt Draeger, Sohn einer Kriegswitwe und mit reichlich Talenten ausgestattet, einen Malwettbewerb. Das Bild wird in der Zeitung abgedruckt. Zufällig entdeckt es Bruno Balz, hinter dem Jahre der Verfolgung als Homosexueller liegen, sowie der geistigen Ausbeutung als Textdichter fast aller Durchhalte-Hits der UFA. Bruno Balz kauft Draegers Bild und erlebt den künstlerischen Aufstieg seines Freundes in der Bundesrepublik mit.
Da ich bis Ende der 70er Jahre im Ausland gelebt habe, erfuhr ich erst durch meine Freundin, der ehemaligen Prominentenwirtin in Münchens Altem Simpl, Toni Netzle, von der künstlerischen Strahlkraft meines „Zeitzeugen“ während seiner Münchner Zeit. In der für sie typischen, baiuwarisch-trockenen Art kommentierte sie: „Jürgen Draeger? Ja der war doch selbst eine DIVA!“
In der Tat beeindruckt die Vielfalt der Lebensstationen Jürgen Draegers: Sein erster Bühnenerfolg wurde am Schillertheater Berlin eine Rolle in Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Mit einer Hauptrolle in Jürgen Rolands Film „Polizeirevier Davidswache“ wurde Draeger 1964 über Nacht zum Idol der jungen Generation. (…) Für den Film „Roma“ engagierte ihn Federico Fellini 1971 als Kostüm- und Dekorzeichner. Draeger studierte 1975 auf Oskar Kokoschkas Sommerakademie in Salzburg die Technik von Radierungen und Kupferstichen. Für eine Reportage über den Maler Marc Chagall wurde Draeger vom Magazin Stern als Fotograf verpflichtet. Ebenso fotografierte er Porträts für das Zeit-Magazin. (…) In den 1970er-Jahren lebte der Künstler vor allem in München. (Quelle: Wikipedia)

Auf Wunsch des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder begleitete Jürgen Draeger zeichnerisch 1982 die Verfilmung des „Skandal-Romans“ Querelle von Jean Genet im Berliner Filmstudio. (…) Am 14. März 1988 verstarb sein Lebensgefährte Bruno Balz in BadWiessee.

Jürgen Draeger überführt seinen Freund zurück in die Heimatstadt Berlin. Nach einer Karenzzeit von 10 Jahren, die sich Bruno Balz ausbedungen hatte, beginnt Draeger, vom wechselvollen und auch tragischen Schicksal des Menschen Bruno Balz hinter der Glamourfassade des UFA-Texters Zeugnis abzulegen.
20 Jahre nach dem Tod des Textdichters Bruno Balz, veröffentlicht die Stadt Berlin folgende Pressemitteilung: Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen nimmt teil an der Enthüllung einer Gedenktafel zu Ehren des Textdichters Bruno Balz durch Kulturstaatssekretär André Schmitz am morgigen Mittwoch, dem 21.5.2008, um 16.00 Uhr, an dem Haus Fasanenstr. 60, 10719 Berlin. Die Würdigung werden der Komponist und Aufsichtsratsvorsitzende der GEMA, Prof. Christian Bruhn und der Schauspieler und Maler Jürgen Draeger vornehmen.

Jürgen Draeger sitzt auf einem mit rotem Samt bezogenen Sofa, das einst Zarah Leander gehörte, in seiner Wohnung in Berlin-Mitte am Monbijouxpark, 220 Quadratmeter groß. (…) So nachzulesen im Beitrag von Björn Stephan im SZ-Magazin (April 2018). Das erinnert mich an meine erste Begegnung mit Jürgen Draeger, 2004. Damals traute ich mich kaum, am Ende jener dunkelroten Polster Platz zu nehmen, auf denen Jahrzehnte zuvor die legendäre Zarah zu ruhen pflegte 😉 Nach Berlin geführt hatte mich die Recherche zu meinem Historical „Kann denn Liebe Sünde sein? – Bruno Balz“. Geplant war lediglich ein Zeitzeugen-Interview mit Jürgen Draeger, als Grundlage für ein Musikportrait.

Beim Abhören des Gespräch-Mitschnitts, der nur als Gedächtnisstütze hätte dienen sollen, stellte ich fest, wie sehr Jürgen Draegers Schilderungen fesselten! So sehr, dass ich sie nicht nur in das Skript abtippte, sondern auch gleich, in Form von O-Ton-Einblendungen, in die Produktion integrierte. Nicht immer weisen diese Tondateien Runfunk-Qualität auf, da sie aber spontan entstanden, bilden sie auf wahrhaftige Weise ein bis dahin beinahe unbekanntes Kapitel deutscher Kulturgeschichte ab: Der Überlebenskampf eines homosexuellen Künstlers, sowohl im Dritten Reich, als auch noch in der Adenauer-Ära, in der Homosexualität, laut Paragraph 175, weiterhin unter Strafe stand!
Verwoben mit Bildcollagen aus dem umfassenden Bild- und Dokumente-Material, das Jürgen Draeger mir zur Verfügung stellte, entstand ein farbiger Multimedia-Teil, den ich mit Textvortrag und vor allem mit zahlreichen Livesongs aus dem umfassenden Repertoire von Bruno Balz kombinierte.
Während meines vierstündigen Interviews hatte mich Jürgen Draeger weit hinter die Gute-Laune-Fassade weltberühmter UFA-Songs wie „Sing, Nachtigall sing“, „Waldemar“ oder „Davon geht die Welt nicht unter“ blicken lassen. Der Lebensrealität ihres Schöpfers gegenüber gestellt, eröffnete sich mir die ungeahnte Doppelbödigkeit der Balz’schen Texte, durch die sich der Autor stets seine Freiräume bewahrt hatte. Um diesen Umstand besser zu veranschaulichen, interpretiert in meiner Bühnenfassung inzwischen stets ein Mann die unsterblichen Lieder. Mit Komponist und Musikproduzent Thomas Erich Killinger am Piano, habe ich das Konzept eines männlichen Lied-Interpreten für die Balz-Songs zuletzt 2016, im NS-Dokumentationszentrum in München, im Vorfeld der Eröffnung des Denkmals für die im Dritten Reich verfolgten Münchner Homosexuellen, umgesetzt.
Meine Balz-Biografie wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Bühnen, im Kulturzentrum Gasteig, in der VHS und schließlich auch im NS-Dokumentationszentrum in München aufgeführt. Tatsächlich aber gehört sie, mit all ihren Bilddokumenten, Texten sowie Draegers O-Tönen endlich einmal in Berlin erzählt, der Heimatstadt von Balz und Draeger. Und auch meine Geburtsstadt – und lebenslanger Sehnsuchtsort … Zurück in diese Stadt geführt hat mich letztlich immer wieder Bruno Balz, erstmals, nach Jahrzehnten der Abwesenheit, 2004 und zuletzt Anfang dieses Jahres, auf der Suche nach einer angemessenen Bühne für „Kann denn Liebe Sünde sein? – Bruno Balz“
Mit dem „Delphi-Theater“, einem ehemaligen Stummfilmkino aus den 20er Jahren wäre der ideale Spielort eigentlich auch schon gefunden. Berlin beschwört per se an allen Ecken seine Vergangenheit als Mekka internationaler Kunst und Kultur herauf. Doch noch mehr Patina strahlt, in seiner Geschlossenheit, das Ambiente des Delphi aus, nicht zufällig kürzlich auch Drehort von Babylon Berlin! Zugleich vermittelt die wuchtige Gewölbestruktur ein Gefühl steinerner Dominanz, ideal für die Thematik meiner Biografie. Einer dortigen Aufführung im Weg steht bislang vor allem die noch ungeklärte Finanzierung, um die ich mich erst werde kümmern können, wenn meine aktuelle Produktion zum 100. Todestag der „barfüßigen“ Gräfin Franziska zu Reventlow Ende Juli abgeschlossen ist.
Inzwischen gibt es auch bezüglich Jürgen Draeger – wie könnte es anders sein 😉 – viel Neues zu vermelden. Im Oktober letzten Jahres hat er geheiratet. Sein Mann Pietro kümmert sich inzwischen als „Graue Eminenz“ um das Allround-Management des Künstlers.

Letzten Freitag habe ich Pietro Draeger persönlich im Artist Studio München kennengelernt, anlässlich eines Treffens gemeinsam mit Robert Eckert, Geschäftsführer von Isarflimmern TV und dabei erfahren, dass Jürgen Draeger derzeit eine autobiografische Werkschau auf !Kuba vorbereitet. Dazu hat das Ehepaar Draeger in letzter Zeit die Karibik-Insel häufiger besucht und steht in regem Austausch mit dem kubanischen Botschafter in Berlin und seinem deutschen Amtskollegen in Havanna.
Auch ein filmisches Portrait über Jürgen Draeger ist derzeit im Gespräch, und ich hoffe sehr, dass es verwirklicht wird, soviel Spannendes wie dieser Mann aus seinem „Jahrhundertleben“ (Zitat Süddeutsche Zeitung) als Künstler und Zeitzeuge zu berichten hat, und das, über die Geschichte seiner Lebensfreundschaft mit Bruno Balz hinaus, unbedingt dokumentiert gehört!
Was nicht bedeuten soll, dass Bruno Balz jemals jemanden ganz aus seinem Bann entlässt: Seit Januar 2013 arbeitet Jürgen Draeger an seinem neuen Bilderzyklus „Sünde sein“, einer Hommage an den Textdichter Bruno Balz … (Quelle: Wikipedia)
– ENDE meines Portraits über Jürgen Draeger vom April 2018 –
Nachtrag:
Eine fast zwanzigjährige Erfolgsgeschichte seit der Uraufführung und Weiterentwicklung ihres Historicals über den schwulen Textdichter Bruno Balz lag hinter Produzentin Gaby dos Santos, als sie unvermittelt mit abweichenden historischen Fakten konfrontiert wurde: Ausgerechnet die Schriftstellerin Micaela Jary, Tochter des Komponisten und Balz Intimus Michael Jary legte detailliert dar, dass die von Jürgen Draeger in Umlauf gebrachten Schilderungen wenig mit den zeitgeschichtlichen Tatsachen übereinstimmten, ihnen teilweise sogar widersprachen!
Zu Bruno Balz: Recherche-Treffen mit Micaela Jary, Tochter des legendären Komponisten, am Puls deutscher Kulturgeschichte in der Monacensia
In der Monacensia, dem literarischen Gedächtnis der LH München – und somit selbst ein kulturhistorischer Ort – lernte ich endlich die Autorin und Zeitzeugin Micaela…
Keep readingNun gilt es also „aufzuräumen“ mit einer zeitgeschichtlichen Fabel, bei der es sogar HistorikerInnen versäumten, genauer nachzufragen, verblendet durch einen biografischen Plot, der sich zwischenzeitlich als „in seiner Tragik zu schön, um wahr zu sein“ entpuppt hat. Umso spannender verspricht die Überarbeitung der Bühnencollage „Kann den Liebe Sünde sein – Bruno Balz“ zu werden, in der Gaby dos Santos plant, den O-Tönen Jürgen Draegers die historischen Fakten gegenüberzustellen: Die Hintergründe zu einer Legendenbildung, insbesondere wenn sie sich derart im gesamten deutschprachigen Raum verbreitet, können selbst eine spannende Vorlage ergeben, insbesondere, wenn es sich um ein derart neuralgisches Thema, wie die Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Holocaust von Minderheiten.
Wirklich Licht ins Dunkel der Balz’schen Biografie und der seines musikalischen Kompagnons, Michael Jary, bringt der Dokumentarfilm Im Schatten der Träume (2024) des Schweizer Filmemachers Martin Witz (Regie, Drehbuch).
Diesen ebenso unterhaltsamen wie informativen Film möchte Gaby dos Santos 2026, im Rahmen einer besonderen Soiree, dem Münchner Publikum ans Herz legen und dabei nochmals durch Jahrzehnte deutscher Kultur-, Film- und Musikgeschichte streifen, verzaubert zwischen Schein und Sein…



Das Schweizer Plakatmotiv von Im Schatten der Träume sowie Momentaufnahmen des Münchner Previews am 5. Februar 2025 mit Martin Witz (Drehbuch und Regie) sowie der Sängerin und Zeitzeugin im Film, Bibi Johns
Weiterführende Links:
Jürgen Draeger auf Wikipedia – SZ-Portrait 2018
Das Bruno Balz Archiv www.bruno-balz.com
Die veruntreute Vita des schwulen Textdichters Bruno Balz (2022)
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