An einem Nachmittag im Spätsommer 2004 war mir die unfassbare Lebensgeschichte des schwulen Textdichters Bruno Balz von seinem Biografen und Nachlass-Verwalter Jürgen Draeger geschildert worden. Seite an Seite saßen wir auf einem roten Plüschsofa aus dem Nachlass Zarah Leanders, wie mir Draeger erläuterte. Der Gedanke daran katapultierte mich umgehend auf Tuchfühlung mit dem Olymp der UFA, zumal Draeger es verstand, das Leben seines Freundes detailreich und anschaulich bis zu dessen Tod 1988 aufzurollen.

Draegers Schilderungen, die eine befreundete Medienschaffende mitschnitt, bewegten mich zutiefst. Damals nahm ich mir fest vor, dieser vergessenen Biografie ein Historical zu widmen, um dem Autor der Texte von Evergreens wie „Davon geht die Welt nicht unter“, „Waldemar“ oder „Sing, Nachtigall sing“ die Identität zurückzugeben.
Zumal, so Draeger, die bisherige Anonymität von Bruno Balz dessen sexueller Orientierung geschuldet war, die nicht nur im Dritten Reich, sondern bis Ende der 1960er in Deutschland, auf Grundlage des Paragrafen 175, strafrechtlich verfolgt wurde, ein selbst noch 2004 wenig beachteter Umstand. Balz hingegen scheint, in Texten voller Doppeldeutigkeit, permanent damit zu spielen.
Um diesen Aspekt der Balz’schen Biografie und seines Werkes hervorzuheben, ließ ich ab 2017 die berühmten Lieder von einem männlichen Interpreten, dem Münchner Chansonnier Albrecht von Weech vortragen und stellte ihnen in Einspielungen Draegers O-Töne sowie Bildprojektionen gegenüber.

Gemeinsam mit dem Promi-Reporter Sascha Henn/NDR (+2023), der zuvor eine Probe und eine Aufführung meines Historicals in München filmisch begleitet hatte (s.obiges Foto), suchte Albrecht von Weech 2019 ebenfalls – und über meinen Kopf hinweg – Jürgen Draeger in Berlin auf. Man witterte eine heiße Story und vermied daher vorsorglich, mich in dieses Vorhaben einzuweihen… 😉

Obiges Foto zeigt Albrecht von Weech und Jürgen Draeger in Berlin, unter einem Gemälde, das Draeger mit 19 Jahren gemalt und mit ihm einen Wettbewerb gewonnen haben will. Balz soll in Folge das Gemälde in einer Zeitung entdeckt und spontan erworben haben. Dabei entwickelte sich zwischen den beiden Männern eine Beziehung, die bis zum Tod des Textdichters, 1988, währte.

Dessen Geschichte vereinte nun, auf Zarah Leanders sagenumwobenem Sofa, mit Jürgen Draeger und Albrecht von Weech, gleich zwei begnadete Selbstdarsteller, mit dem Ziel, der Bruno Balz Saga filmisch eine weitere Fußnote hinzuzufügen.
Zu diesem Zweck bediente man sich ausgiebig des von mir in Jahren recherchierten Materials, allerdings ohne Quellenangabe oder Klärung von Urheberrechte – und insbesondere ohne Akribie bei der Blaupause, so dass ich mich zu nachstehenden Richtigstellungen veranlasst sah:
Bruno Balz war TEXTDICHTER, nicht Komponist. Vertont hat dessen unvergessene Liedzeilen vor allem KOMPONIST MICHAEL JARY.
Die Filmaufnahmen in München sind während der Proben zu einer Aufführung des Historicals „KANN DENN LIEBE SÜNDE SEIN? – BRUNO BALZ“ entstanden und zwar in der Pasinger Fabrik und NICHT in den Kammerspielen, wie, laut meinem Feedback, bereits mehrfach falsch verstanden wurde, da im Beitrag von Sascha Henn meine Produktion mißverständlich mit „in einem Kammerspiel“ umschrieben wurde.
Auch hat sich KEINESWEGS der Schauspieler Albrecht von Weech in einem Kammerspiel dieser unglaublichen Geschichte angenommen … Diese Formulierung erweckt fälschlich den Eindruck einer Urheberschaft Albrecht von Weechs, der aber lediglich für Aufführungen von mir als Chansonnier (nicht als Schauspieler) engagiert wurde. (Siehe obige Ausführungen)Im Kurzbeitrag zu sehen sind Chansonnier Albrecht Von Weech, sowohl in Aktion, wie auch im Interview während einer Probenpause, sowie Schauspieler Lutz Bembenneck, vor dem Hintergrund einiger meiner Bildcollagen, die ich aus historischem Bildmaterial und privaten Fotos aus dem Bruno Balz Archiv gestaltet habe. Leider, anders als vereinbart und gängige Praxis, finden sich im Beitrag keinerlei Quellenangaben!
Fazit: Schön, dass das Schicksal von Bruno Balz, hier exemplarisch festgemacht an der Entstehungsgeschichte des Liedes „Ich weiß es wird einmal ein Wunder gescheh’n“, nun auch dem NDR einen Bericht wert ist. Bedauerlich bleiben eine ganze Reihe historischer und inhaltlicher Unkorrektheiten (s.o.) sowie das Fehlen jeglicher Quellenangabe sowohl im Film als auch auf der entsprechenden Mediathek-Seite.
Hinweise zur NDR-Reportage „Davon geht die Welt nicht unter“ vom 9.06.19, u.a. mit Ausschnitten einer Probe der Produktion „Kann denn Liebe Sünde sein? – Bruno Balz“ von Gaby dos Santos, 2019, Pasinger Fabrik

Nachtrag 1: Von einer Ausstrahlung des Beitrags wurde wegen Differenzen bezüglich meiner Autorenrechte vom Sender schließlich Abstand genommen.
Nachtrag 2:
Eine fast zwanzigjährige Erfolgsgeschichte seit der Uraufführung und Weiterentwicklung ihres Historicals über den schwulen Textdichter Bruno Balz lag hinter Produzentin Gaby dos Santos, als sie unvermittelt mit abweichenden historischen Fakten konfrontiert wurde: Ausgerechnet die Schriftstellerin Micaela Jary, Tochter des Komponisten und Balz Intimus Michael Jary legte detailliert dar, dass die von Jürgen Draeger in Umlauf gebrachten Schilderungen wenig mit den zeitgeschichtlichen Tatsachen übereinstimmten, ihnen teilweise sogar widersprachen!
Zu Bruno Balz: Recherche-Treffen mit Micaela Jary, Tochter des legendären Komponisten, am Puls deutscher Kulturgeschichte in der Monacensia
In der Monacensia, dem literarischen Gedächtnis der LH München – und somit selbst ein kulturhistorischer Ort – lernte ich endlich die Autorin und Zeitzeugin Micaela…
Keep readingNun gilt es also „aufzuräumen“ mit einer zeitgeschichtlichen Fabel, bei der es sogar HistorikerInnen versäumten, genauer nachzufragen, verblendet durch einen biografischen Plot, der sich zwischenzeitlich als „in seiner Tragik zu schön, um wahr zu sein“ entpuppt hat. Umso spannender verspricht die Überarbeitung der Bühnencollage „Kann den Liebe Sünde sein – Bruno Balz“ zu werden, in der Gaby dos Santos plant, den O-Tönen Jürgen Draegers die historischen Fakten gegenüberzustellen: Die Hintergründe zu einer Legendenbildung, insbesondere wenn sie sich derart im gesamten deutschprachigen Raum verbreitet, können selbst eine spannende Vorlage ergeben, insbesondere, wenn es sich um ein derart neuralgisches Thema, wie die Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Holocaust von Minderheiten.
Wirklich Licht ins Dunkel der Balz’schen Biografie und der seines musikalischen Kompagnons, Michael Jary, bringt der Dokumentarfilm Im Schatten der Träume (2024) des Schweizer Filmemachers Martin Witz (Regie, Drehbuch).
Diesen ebenso unterhaltsamen wie informativen Film möchte Gaby dos Santos 2026, im Rahmen einer besonderen Soiree, dem Münchner Publikum ans Herz legen und dabei nochmals durch Jahrzehnte deutscher Kultur-, Film- und Musikgeschichte streifen, verzaubert zwischen Schein und Sein…



Das Schweizer Plakatmotiv von Im Schatten der Träume sowie Momentaufnahmen des Münchner Previews am 5. Februar 2025 mit Martin Witz (Drehbuch und Regie) sowie der Sängerin und Zeitzeugin im Film, Bibi Johns
Weiterführende Links:
Jürgen Draeger auf Wikipedia – SZ-Portrait 2018
Das Bruno Balz Archiv www.bruno-balz.com
Die veruntreute Vita des schwulen Textdichters Bruno Balz (2022)
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