Die aktuelle Gruppen-Installation von Künstlerinnen in der St. Paulskirche empfängt mich gleich zu Beginn mit einem Paukenschlag: Im Beichtstuhl finde ich einen Roboter vor, der sich mir zuwendet, egal welche Stellung ich einnehme. Eine/n solche/n androgyne/n Vertreter*In der digitalen Welt in diesem historisch-sakralen Umfeld zu installieren, ist das Ergebnis der gedanklichen und künstlerischen Auseiandersetzung von Patricija Gilyte mit dem Reden und mit eben jenem Schweigen, das der Apostel Paulus den Weibern in der Gemeinde anriet, wobei bezüglich der Auslegung des berühmt-berüchtigten Zitates noch einiges im Begleitprogramm der kommenden Monate exegetisch richtig gestellt werden wird …
Die großformatigen Installationen, die der großzügig angelegte Kirchenraum mit 20 Metern Höhe ermöglicht, laden vom ersten Moment an nicht zur zum Betrachten und Entdecken ein, sondern zur gedanklichen Auseinandersetzung mit den Werken. Ebenso werden eine Reihe von – nomen est omen – „Tatort“-Gottesdiensten, jeweils sonntags um 20.15 Uhr, mit Bildpredigten auf die Exponate eingehen, unter Einbeziehung anwesender Künstlerinnen; auf diese Weise sollen sich Dialoge zwischen Glaube, Gegenwart und künstlerischen Ausdrucksformen entwickeln. Für Dr. Ulrich Schäfert, Leiter der veranstaltenden Kunstpastoral ein zentrales Anliegen, denn keinesfalls soll die Kirche zum reinen Ausstellungsort zweckentferndet werden, sondern sich als ein Ort spiritueller Begegnung darstellen, in dem sich Dialoge zwischen dem sakralen Raum, kirchlichen Themen und den künstlerischen Aussagen der ausstellenden Frauen entwickeln.
Überdimensionale Keramik-Tomaten, wie eben mal dahin geschmettert, haften mehreren Kirchensäulen sowie der Kanzel an, ausgerechnet jener Kanzel, von der aus über Jahrhunderte das gesellschaftliche System definiert wurde! Doch schon der Name „Sigrid“ der zeitgeschichtlichen Figur, die die Künstlerin Helga Sanders zu ihrer Installation inspirierte, verrät, dass bis in die jüngste Vergangenheit das Weib nicht nur in der KirchenGemeinde zu schweigen hatte. Bei Sigrid handelt es sich vielmehr um eine Demonstrantin Anfang der 70er Jahre, die mit einem Tomatenwurf reagierte, als Man(n) bei einer Frankfurter Demo eine Frauenrechtlerin nicht zu Wort kommen lassen wollte.
Schwarz-weiße, von Metallrahmen gehaltene Zeichnungen im Kreuzgang fangen wiederum das Spiel von Licht und Schatten der Kirche auf, zwei überdimensionale Selbstporträts, im Stempeldruckverfahren entstanden, von denen eines die kunstgeschichtliche Tradition der herausgestreckten Zunge aufgreift, verkünden eine Botschaft, die klar mit dem biblischen Maulkorb-Zitat kontrastiert, anderweitig erheben sich Gestecke hübscher bunter Papierblumen aus den Abfällen unserer Konsumgesellschaft …
In der letzten, traditionell den den Frauen vorbehaltenen Sitzreihe, sind Bildschirme montiert, in denen Frauen unterschiedlichster Couleur reden; worüber, wird man in der Münchner St. Paulskirche nicht erfahren, sollen doch die „Weiber „schweigen in der Gemeinde„. Entsprechend bleiben die Botschaften der acht Protagonistinnen von Birthe Blauth in der Kirche ungehört, sind aber tatsächlich abrufbar, unter
http://www.bblauth.de/8-voices.html
Jetzt könnte ich noch ewig weiter schwelgen bezüglich meiner Eindrücke, der so unterschiedlichen Exponaten und ihrer künstlerischen Aussagen und ebenso über die Emotionen und Überlegungen, die sie in mir ausgelöst haben. Da die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur jedoch eine stets individuelle ist, empfehle ich dringend einen Besuch dieser sakrale Erlebniswelt, gerade bei den aktuellen sommerlichen Temperaturen.
Eine gute Gelegenheit wäre Donnerstag Abend, 25. Juli um 19.30 Uhr, in der Kirche St. Paul
Künstlerinnengespräch und Präsentation des Ausstellungskatalogs
Im Gespräch die beiden Kuratoren
Dr. Barbara Fischer, Kunsthistorikerin und Mitglied des Kuratoriums des Fachbereichs Kunstpastoral,
und Dr. Alexander Heisig, Fachreferent für zeitgenössische Kunst und Kirche,
sowie Dr. Ulrich Schäfert und Pfarrer Rainer Hepler vom Fachbereich Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising,
mit den Künstlerinnen Birthe Blauth, Patricija Gilyte, Nina Annabelle Märkl und Susanne Wagner
Im Anschluss lädt das Kunstpastoral zu einem Umtrunk ein.
Alle weiteren Details zur laufenden Ausstellung, dem Begleitprogramm und den Künstlerinnen unter nachstehendem Bild/Link >
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