„Tanz mit mir die Liebe bis zum Schluss“ – Chansonnier Karsten Troyke rührte das Publikum im Jüdischen Museum München zu Tränen und rief Erinnerungen wach, begleitet vom Trio SCHO und Klarinetten-Solist Jan Hermerschmidt

Dass irgendwann die Tränen flossen, bei mir ebenso, wie neben, vor und hinter mir im Publikum, hätte mich eigentlich nicht weiter wundern dürfen, schließlich kennen Karsten und ich uns seit nunmehr 25 Jahren, und ich weiß um sein großes Können. Dennoch überrascht mich bei jedem seiner Konzerte von Neuem, wie er es versteht, die Bittersüße des Lebens, dessen Zauber, Leidenschaft und auch Mutterwitz  mit seiner Stimme zu beschwören und zu einem intensiven Abbild des DAseins zu verweben! Dadurch gerät für mich ein Konzert von Karsten Troyke, über die musikalische Qualität der Darbietung hinaus, auch zu einem Ritt durch das faszinierende Minenfeld eigener Erinnerungen. Diese Wirkung verstärkt sicherlich die Tatsache, dass Karstens Repertoire in erster Linie auf Liedgut mit einer langen eigenständigen Tradition zurückgreift: auf jüdische Lieder unterschiedlichster Couleur, bis hin zu modernen Lied-Poeten wie Leonhardt Cohen. Dessen „Dance me to the end of lovesei all den Holocaust-Opfern gewidmet, die zu früh sterben mussten, um die Liebe leben zu können … Schon in der Originalfassung besticht das Lied durch seine melodische Tiefe, auf die der Künstler seine zu Herzen gehenden Songbotschaft gebaut hatte … Wobei das ursprüngliche Anliegen dieses Evergreens weitestgehend unbekannt ist. Nun wird, dank Karstens Anmoderationen und seiner Liedversion in Deutsch, der tragische Hintergrund des Songs auf seinen Konzerten für das Publikum erfahrbar  … „Zu früh gestorben, um die Liebe zu leben zu können …“ ist das textliche Fragment zu einer Aussage, deren Brutalität eine Annäherung an die Unfassbarkeit des Holocaust bewirkt.

> KARSTEN TROYKE: „DANCE ME TO THE END OF TIME“ (Leonhardt Cohen)

Das Konzert bewegte mich aber auch aus einem anderen Grund tief: Meine Begegnungen mit Karsten Troyke sind eng verbunden mit meiner persönlichen Auseinandersetzung mit der jüdischen Musik, die zu einem Zeitpunkt begann, als das Genre noch gar nicht allgemein geläufig war: Ich lag im Krankenhaus und sah im Fernsehen eine Folge der – ausgerechnet 😉 – Lindenstraße, in der jüdische Musik gespielt wurde. Sofort ergriffen mich der Klang der Musik wie auch die Melodik der jiddischen Sprache gleichermaßen: Beides spendete mir in meiner Lage Trost, weil es mich so sehr ansprach. Daher bat ich meine Freundin, mir eine Kassette mit jüdischer Musik zu besorgen. Diverse Rebbes (Rabiner) kamen darin vor, das bedrückende Provokal – Lied der jüdischen Partisanen, ebenso  Avremel – der Meisterdieb oder  Mayn Shtetele Belz und eröffneten mir eine ganz neue musikalische Welt, begleiteten mich durch die Wochen im Krankenhaus, durch die anschließende Rekonvaleszenz und behutsam zurück ins Leben. Auch ohne  Jüdin zu sein und auch nicht ansatzweise das erduldet zu haben, was Juden über Jahrtausende und zuletzt, als tragischem Höhepunkt, im Holocaust erlitten, finde auch ich mich in deren Musik wieder, die auf Jahrtausende alte Lebensweisheit gründet. Eines der Lieder dieser allerersten Musik-Kassette habe ich gestern, erstmals seit Ewigkeiten, nun wieder in Karstens Konzert gehört. Für mich Kopfkino pur –

Karsten Troyke ca. Anfang der 1990er Jahre

Als ich Jahre später, 1994, meine Tätigkeit als Veranstalterin begann, stand für mich fest, dass jüdische Kultur ein fester Bestandteil meiner Programmgestaltung werden sollte. Damals wurde mir nahegelegt, Herrn und Frau Snopkowski zu kontaktieren. Als Initiatoren und Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition wären sie die erste Adresse in Bezug auf mein Vorhaben. So wandte ich mich mit einem Brief an das Ehepaar, das äußerst liebenswürdig reagierte: Sie setzten sich mit mir in Verbindung und sponserten mir kurze Zeit später ein Gastspiel aus Berlin, von dem Frau Snopkowski meinte, dass es zu meiner Art zu veranstalten passen könnte:  Karsten Troyke –

Beide waren wir damals Anfang 30 … als ich zum ersten Mal erlebte, wie dieser Künstler Räume emotional auszufüllen versteht …

Dennoch vergingen 10 Jahre, bis wir erneut zusammen arbeiteten, im Rahmen der Jüdischen Kulturtage München 2003 und danach wieder 2004, im Münchner Künstlerhaus, bei meiner Musik-Collage „Diabolo – Ein Lied der Geigen„, zu der ich Karsten als Moderator und Sänger gewinnen konnte.

2009 trat er mit Liedermacherin Bettina Wegener, mit der er viel zusammen arbeitet, im Gasteig auf, und Frau Snopkowski lud mich zu diesem Konzert ein.

Nun, 2019, erneut zehn Jahre später und insgesamt 25 Jahre nach unserer ersten Zusammenarbeit, trafen wir uns also im Jüdischen Museum wieder, für mich eine der wenigen Gelegenheiten, in denen ich mir eine Veranstaltung aus „Privat-Vergnügen“ gönnte. Nach einer relativ langen Zeit, in der ich Karsten nicht gehört hatte, war ich besonders gespannt auf dieses Konzert und entdeckte einen Künstler wieder, der den Charme des verschmitzen Berliner Jungen aus den frühen 1990er Jahren nicht verloren, aber an Ausdruck dazu gewonnen hatte.

Ebenso einfühlsam wie virtuos und mit einer Prise kabarettistischen Humors, wurde Karsten Troyke vom Trio SCHO begleitet, das selbst auf eine ganze Reihe Auszeichnungen und Erfolge zurück blickt sowie vom Klarinetten-Solist Jan Hermerschmidt.  Ermöglicht hat dieses hochkarätige Gastspiel der Zentralrat der Juden in Deutschland, der das Ensemble gestern an die Liberale Jüdischen Gemeinde München, Beth Shalom, als veranstaltende Institution vermittelte, mit dem Jüdischen Museum München als stimmigem Veranstaltungsort.

Karsten Troyke (Mitte) fotografiert gemeinsam mit dem Trio Scho von Ralph Deja im ausverkauften Jüdischen Museum München, am 8. Dezember 2019

In weiser Voraussicht hatte ich im Vorfeld ordentlich die Werbetrommel bei uns im jourfixe-Verein gerührt. Besonders freute mich das Kommen unserer „Rosenkinder„. So nennen wir intern unsere jourfixe-Mitglieder Harry (selbst u.a. Musiker und Musik-Promoter) und Manuela Rosenkind, die selbst in der Jüdischen Gemeinde München verwurzelt sind. Ihnen speziell wollte ich diesen Künstler nahe bringen. Auch mit dabei meine jourfixe-Kolleginnen Christa Zoch, die am selben Tag erst aus Bremen eingetroffen und direkt vom Hauptbahnhof ins Konzert geeilt war sowie Kulturmanagerin Beatrice Stark. Über diese Veranstaltung informiert hatte uns aber – hier schließen sich Kreise – unser jourfixe-Mitglied Ralph Deja, der als – unter anderem – Mitglied von Chaverim, dem Freundeskreis zur Unterstützung der Liberalen Jüdischen Gemeinde München, Beth Shalom, bei unserer Kulturplattform für interkulturellen und interreligiösen Dialog steht. Doch gestern Abend bildete nicht die Sprache, sondern Karstens Gesang zur Musik das verbindende Element: Ich denke, wir fühlten alle miteinander diesen Gesang tief in uns wirken; ein für mich intensiver Moment der Gemeinschaftlichkeit jüdischer und nicht jüdischer Mitbürger*Innen, die ich, angesichts der politischen Entwicklungen, jetzt für vorrangig in unserer Stadtgesellschaft halte.

Gestern war ein Abend großer Gefühle, die Zeichen setzten und in mir noch immer nachwirken.

Auf hoffentlich ganz bald mal wieder lieber Karsten …


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www.beth-shalom.de


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www.karsten-troyke.de

Karsten Troyke auf > Wikipedia
Foto: Wikipedia



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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