Am Freitag, den 25.3.2022 wäre Toni Netzle 92 Jahre alt geworden.
„Grund genug für mich, endlich meine Multi-Media-Collage gemeinsam mit Schauspielerin Marion Niederländer uraufzuführen, Pandemie-bedingt war es ja eher leider nicht möglich“, verrät Gaby dos Santos.
Fast 10 Jahre lang habe sie mit der Kult-Wirtin deren Leben und Wirken in Bild und Ton festgehalten, gespickt mit vielen Anekdoten, erklärt die Medienkünstlerin und Kultur-Bloggerin. „Dafür habe ich viele prominente Wegbegleiter interviewt, Politiker, Adelige, Journalisten, Musiker, Sportler, Schauspieler, Filmemacher, unter anderem Wolfgang Rademann, Uschi Glas, Michaela May, Christian Wolff, Peter Gauweiler, Max Strauß, Ralph Siegel, Paul Breitner, Amelie Fried und viele mehr.
Ihr Ziel: „Als ihre Freundin, Kollegin und Biographin ein wenig dazu beizutragen, dass Toni Netzle nicht in Vergessenheit gerät, eine posthume Hommage, schließlich hat sie 60 Jahre lang in München nie an Strahlkraft eingebüßt. Toni war eine spannende Persönlichkeit, wenn auch keine einfache“, bringt es Gaby dos Santos auf den Punkt.
Nun also „TONI NETZLE – Für immer Simpl„. Für die Premiere hat Jutta Speidel ihr vor drei Jahren eröffnetes Theater im Horizont-Haus Domagkpark, die Kulturbühne Spagat, zur Verfügung gestellt. „Toni und ich – zwei Widder und doch ganz unterschiedlich, aber dennoch seelenverwandt“, sinnierte die Schauspielerin, die tags darauf ihren 68. Geburtstag feierte. Sie deutete auf das Foto der berühmten Gastwirtin: „Wir lassen Dich hochleben, liebste Toni, Du sitzt da oben auf Wolke 7 und hörst uns zu.“
Netzles Tochter Birgit wischt sich eine Träne aus den Augen: „Ich bin überrascht und total berührt von diesem großartigen Zusammenschnitt des Lebens und Wirkens meiner Mutter, Fortsetzung nicht ausgeschlossen, ich habe noch sehr viel Material. Und ich bin sehr stolz, Gaby dos Santos hat meine Mutter so dargestellt, wie sie war, mit all ihren Ecken und Kanten.“ Wie war sie denn? „Wen sie nicht mochte, hat sie einfach ignoriert, wen sie mochte, für den gab sie ihr letztes Hemd!“ Auch Birgit „Gitti“ Netzle ist Teil der Collage, schließlich hat sie von 1976 bis 1982 im Alten Simpl mitgearbeitet, danach ging sie als Wirtin ihre eigenen Wege (führte u.a. 25 Jahre das Asam Schlössl).
Sie verrät: „Das Leben meiner Mutter war zwiegespalten von der Familie; 1996 hat sie mit mir, kurz darauf mit meinem Bruder Christian gebrochen!“
„All die Zeit hatten wir keinen Kontakt, ich habe sehr darunter gelitten, dass meine Mutter nichts mehr von mir wissen wollte. Ja, und als sie dann spürte, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, sie lag ja 14 Tage im Koma, habe ich ihr einen langen Brief geschrieben mit meinen Versöhnungsabsichten, da hat sie ihr Kriegsbeil beiseite gelegt und wollte mich und meinen Bruder sehen. Das war für alle ganz wichtig, sie hat sich bei uns entschuldigt, es hat ihr unendlich leid getan, dass sie nicht da war für uns all die Jahre“. Eine intensive gemeinsame Woche hätten sie aber noch erlebt: „Dafür bin ich sehr dankbar, wir alle konnten unsere Gefühle wieder in die rechte Ecke bringen! Durch die vielen Kondolenzbriefe und dadurch, was ich inzwischen alles über sie erfahren und in ihrem Nachlass entdeckt habe – zum Beispiel hat sie alle Zeitungsberichte über mich akribisch gesammelt und archiviert, das hat mich zu Tränen gerührt – habe ich sie auch von einer ganz anderen, weichen und liebevollen Seite kennengelernt, das hat mir auch bei meiner Trauerarbeit geholfen“.
Auch Schauspielerin Ilona Grübel hat viel über „die Toni“ zu erzählen: „Das ist heute für mich eine Art verspätetes Abschiednehmen; konnte ich doch krankheitsbedingt bei der Beerdigung im Oktober letzten Jahres nicht dabei sein. Wie sie im Film den langen Flur entlangpflügt und ruft: ‚Bleib da ned im Durchgang stehn!‘ – so seh ich sie immer noch vor mir … Von 1971 bis zum Schluss war ich regelmäßig dort, bei Festen, zum Fasching mit den Kindern oder zu den After-Premieren – also nach den eigentlichen Premieren ging man noch zu Toni, das war der In-Treff. Ich habe ja ums Eck vom Simpl in der Maxvorstadt gewohnt, bei mir trifft das wirklich zu, dass die Kneipe mein zweites Wohnzimmer war.
Peter Schamoni, Bernd Eichinger oder Hannelore Elsner gehörten zum Inventar, Toni selbst war eine Mischung aus Wirtin und Schauspielerin und total ins Filmgeschehen integriert. Außerdem werde ich nie den Geschmack ihrer Linsensuppe und ihres Wurstsalats vergessen… Sie konnte sehr ruppig sein, aber auch sehr witzig – ein richtiger Mensch eben!“
Stadtschreiber W.A. Riegerhof, auch er war Stammgast im Alten Simpl, fügt nickend hinzu: „Toni Netzle wäre auch eine gute Standlfrau gewesen: resolut und mit grantlerischem Herz.“
Für immer Simpl, Toni Netzle forever: schon zu Lebzeiten war sie eine Legende, jetzt ist sie ein Stück Münchner Kulturgeschichte. 32 Jahre lang Gastwirtin mit Leib und Seele – dabei sagte sie anlässlich meines großen Interviews zu ihrem 90. Geburtstag: „Eigentlich mag ich keine Kneipen, auch meine eigene nicht, bin 1960 nur da gelandet, weil ich einen Job brauchte! Denn allein mit zwei Kindern konnte ich nicht mehr als Schauspielerin durch die ganze Welt kutschieren, also habe ich dieses Lokal einfach so geführt, als ob es mein eigenes Wohnzimmer ist, was natürlich unmöglich war – von den Deckeln mit der unbezahlten Zeche hätte ich mir eine Villa in Grünwald kaufen können …“
Daniela Schwan
ZUKUNFTSMUSIK:
Mir wird es als Nächstes darum gehen, das für diese Würdigung gesammelte Material (ton)technisch zu überarbeiten und zu einer fertigen Bühnenfassung zu ergänzen, die über die Künstlerbiografie von Toni Netzle hinaus auch ein Zeitdokument des „Swingin‘ Münchens“ der 1960er bis 1990er Jahre darstellt, mit Parallelen zur Goldenen Ära von München um 1900.
Gaby dos Santos (Produzentin der Collage),
Freundin und Biografin Toni Netzles
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Das Titelfoto (u.a.) stammt, mit herzlichem Dank, von Pressefotograf Terence Tremper:
v.l. Jutta Speidel, Gaby dos Santos (Produzentin der Collage), Birgit Netzle, Marion Niederländer (Schauspielerin), Ilona Grübel