„Erster Weltkrieg – Eine europäische Erfahrung“ Mein Auftritt und Tagungs-Wochenende an der Evangelischen Akademie Tutzing

„Ende“ stand in großen Lettern auf meiner letzten Bildprojektion, doch statt Endapplaus legte sich bleierne Stille über die Kapelle von Schloss Tutzing, in der ich gerade unsere überarbeitete Collage zum Ersten Weltkrieg aufgeführt hatte: „Mit Gott im Ersten Weltkrieg“.

jourfixe-Collage Gaby dos Santos - Schlosskapelle Tutzing
Die Schloss–Kapelle in der Evangelischen Akademie in Tutzing: Kontemplativer Aufführungsort der Collage „Mit Gott im Ersten Weltkrieg“ von Jon Michael Winkler und Gaby dos Santos

Das war ja jetzt wohl reichlich übertrieben“, rief schließlich jemand. „Oh je!“, dachte ich nur, aber wenigstens blieben die „Buh“-Rufe aus.  Da man aber als Kunstschaffender nach Darbietung eines neuen Werks, sprich: einer neuen Portion eigener Seelensubstanz, extrem dünnhäutig ist, fühlte sich die Situation auch so schlimm genug für mich an. Als sich dann doch noch zaghafter Applaus einstellte, wusste ich schon gar nicht mehr, wie ich den entgegen nehmen sollte.

Darauf also hatte ich die letzte Zeit hingearbeitet, reichlich Herzblut und Leidenschaft einfließen und Nikotin darüber qualmen lassen, ebenso wie Mitproduzent und Komponist Jon Michael Winkler. Beide waren wir in den letzten beiden Wochen regelrecht in die Textdokumente von Zeitzeugen, von gefallenen Soldaten sowie in fotografische Momentaufnahmen des Ersten Weltkriegs hinein gekrochen, beseelt davon, wenigstens in Ansätzen die zunächst euphorische und dann unmenschliche Realität jener Epoche nachzuempfinden und in Bild- und Klang-Collagen etwas erlebbarer zu gestalten. Doch irgendwie schien es: Operation gelungen, Patient – naja, nicht tot, aber zumindest ziemlich „geplättet“.

Blick durch den Garten zur Restaurant-Anlage direkt am Starnberger See
Blick durch den Garten zur Restaurant-Anlage direkt am Starnberger See

Nach der ersten Welle der Sprachlosigkeit kamen endlich auch Rückmeldungen. Ein Zuschauer meinte: „Nur ganz schwer zu ertragen, aber leider nötig.“ Eine Dame fragte nach einer DVD der Show. Andere Gäste entschuldigten sich, dass sie nach einer solchen Vorführung einfach nicht hätten applaudieren können.

Dennoch scheint mir die Veranstaltung polarisiert zu haben. Besonders zu denken gab mir ein Kommentar am nächsten Morgen. Ein Tagungsteilnehmer bat um Verständnis dafür, dass er schon zu Anfang der Collage, als die ersten Gräberfelder eingeblendet wurden, die Vorführung verlassen habe, weil der Anblick der vielen Kriegsgräber – sinngemäß – nicht so „seins“ wäre. Dass für ihn zwei Vortragstage, randvoll mit harten Fakten zum Ersten Weltkrieg, leichter zu ertragen waren, als eine sinnliche Bestandsaufnahme von einer knappen halben Stunde, überraschte mich schon.

Ausblick vom äußersten Punkt der Evangelischen Akademie Tutzing auf den Starnberger See
Ausblick vom äußersten Punkt der Evangelischen Akademie Tutzing auf den Starnberger See

Ein wenig schmunzeln musste ich über die Tatsache, dass es mich wieder einmal an einen Ort verschlagen hatte, an dem ich mich als Paradiesvogel empfand. Jede(r) von uns ReferentInnen wurde vor Veranstaltungsbeginn kurz vorgestellt. Alle blickten auf eine ausgiebige akademische Laufbahn zurück und zeichneten sich zumindest durch einen „Doktor“-Titel aus, wenn sie nicht gleich „Professor Doktor“ im Doppelpack waren.

Zu meiner Person gab es zwar zahlreiche Auslandsaufenthalte und einen Abstecher als Kreuzfahrten-Hostess zu vermelden, aber wenn ich auf einige Begebenheiten während der Tagung zurückblicke, bin ich mir keineswegs sicher, ob das auch wirklich allen als Referenz reichte. 😉

Das fortwährende Tuscheln eines der Referenten, der während meiner Präsentation unmittelbar hinter mir saß, schien  jedenfalls Bände zu sprechen. Das hätte ich mir mal bei seinem Vortrag erlauben sollen … 

Nun aber umgeschwenkt zu den Meriten der akademischen Welt, in deren Genuss  ich in Tutzing ausgiebig kam: Viele, viele neue Kenntnisse wurden uns TagungsteilnehmerInnen vermittelt! Obgleich ich in diesem Jahr bereits wochenlang zum Ersten Weltkrieg recherchiert hatte, gab es in jedem der Vorträge besondere Begebenheiten, Zusammenhänge und Details zu entdecken, die dazu beitrugen, die Vorkommnisse rund um den Ersten Weltkrieg besser zu verstehen und damit ein Stück weit auch die Gegenwart.

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„Erster Weltkrieg – Eine europäische Erfahrung“ Tagungsplakat im Schaukasten der Akademie

Mitten hinein in unsere jüngste Geschichte führte der Vortrag von Dr. Arndt Weinrich / Deutsches Historisches Institut Paris, der den Wandel der Gedenkkultur in Frankreich in den letzten Jahrzehnten beschrieb: „Krieg und Erinnerungskultur in Frankreich“. So richteten in den 50er und 60er Jahren, einer Zeit des Wirtschaftswachtums, auch die Franzosen ihren Blick eher in eine vielversprechende Zukunft, als zurück. Historische Figuren wie der „Poilu“, der einfache Soldat von 1914, dienten nicht zur Identifikation sondern wurden eher kömödiantisch abgehandelt.

In den letzten Jahrzehnten, mit dem Aufkommen internationaler Krisen und natürlich dem Jubiläumsjahr 2014, hat sich die Gedenkkultur um die Vorkommnisse im Ersten Weltkrieg hingegen intensiviert,  bis hin zum Kult um die letzten lebenden Veteranen Ende der 90er und Anfang des neuen Jahrtausends. Der Kult ging soweit, dass man diese „letzten ihrer Art“ sogar feierlichst im Pariser Panthéon beisetzen wollte, ein Anliegen dem sich die Betroffenen jedoch strikt widersetzten, zu groß war ihnen dieser plötzliche Hype und vor allem viel zu spät kam ihnen die Würdigung der Nation für den von ihnen geleisteten Einsatz …
Persönlich sehr berührt hat mich die Feststellung Herrn Dr. Weinrichs, dass sich hingegen in Deutschland, auf Grund der Schuldfrage – und überschattet durch den Zweiten Weltkrieg – nie eine Gedenkkultur entwickelt habe. International lange als alleinige Kriegsverursacher von der Weltöffentlichkeit abgestraft, wurde  und wird „der deutsche Soldat“ nicht als Opfer und erst recht nicht als Held erinnert. Durch Herrn Dr. Weinrichs Vortrag wurde mir noch bewusster, was das Herzensanliegen von Jon und mir, bei dieser Collage ist:

Bild-Collage aus der Produktion "Mit Gott im Ersten Weltkrieg"
Bild-Collage aus der Produktion „Mit Gott im Ersten Weltkrieg“ von Jon M. Winkler und Gaby dos Santos

Das Leid der vielen Millione WELTWEIT UND AUCH IN DEUTSCHLAND in Erinnerung zu rufen, die schlichtweg verheizt worden sind, Spielbälle einer verlogenen Propaganda, von Selbstüberschätzung und strategisch falscher Taktierereien einer kleinen Gruppe von Befehlsträgern waren. Wie es sich eben in jedem Krieg wiederholten und wiederholen wird, wenn wir Bürger nicht lernen, uns bewusster und aktiver, mit den Mitteln der Demokratie, schon der unheilvollen Anfänge zu wehren, die Lehren der Vergangenheit stets vor Augen!

Das Leid der vielen Millione WELTWEIT UND AUCH IN DEUTSCHLAND in Erinnerung zu rufen, die schlichtweg verheizt worden sind, Spielbälle einer verlogenen Propaganda, von Selbstüberschätzung und strategisch falscher Taktierereien einer kleinen Gruppe von Befehlsträgern waren. Wie es sich eben in jedem Krieg wiederholten und wiederholen wird, wenn wir Bürger nicht lernen, uns bewusster und aktiver, mit den Mitteln der Demokratie, schon der unheilvollen Anfänge zu wehren, die Lehren der Vergangenheit stets vor Augen!

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Als aufschlussreich und außergewöhnlich in der Herangehensweise an sein Thema empfand ich den Vortrag der Psycho-Soziologin Dr. Gudrun Brockhaus, welche über „Die nationalsozialistische Vereinnahmung des Ersten Weltkriegs“ referierte und detailliert darstellte, wie die nationalsozialistische Ideologie in der Weimarer Republik auf Resonanz hatte stoßen können.

Statt vom komfortablen Sockel der „späten Geburt“ mit erhobenem Zeigefinger auf böse Nazi-Mitläufer (und IfM’s) herabzusehen, versuche ich , mich in die jeweilige Zeit hinein zu versetzen. Ich möchte verstehen, wie sich überhaupt ein Nährboden für bestimmte Verhaltensweisen bilden konnte und kann.  Besonders wieder jetzt, angesichts der aktuellen politischen Lage. „Eure Generation weiß ja gar nicht mehr, wie das ist, Angst haben zu müssen“ äußerte kürzlich sinngemäß meine Mutter, ebenso vorwurfsvoll wie besorgt angesichts der derzeitigen politischen Entwicklungen …

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Schloss Tutzing, Sitz der Evangelischen Akademie, blickt selbst auf eine bewegte Chronik zurück


Wunderbarerweise melden sich jedoch zu allen Zeiten auch kritische Geister, die es verstehen, sich, wenn erforderlich, dem Zeitgeist zu entziehen. Mir bis  zur Tagung gänzlich unbekannt war die Tatsache, dass es 1915 in Den Haag einen transnationalen Friedenskongress von Frauen gegeben hat,  angestoßen durch Mitglieder der weltweiten Frauenbewegung jener Zeit! Hier trafen nicht zuletzt auch belgische Frauen mit ihren deutschen Geschlechtsgenossinnen zusammen, eine sicherlich schwer zu ertragende Situation, die dennoch verwirklicht wurde; für mich eine vorbildliche Handlung, von der ich mich  in die Pflicht genommen fühle.

Wie viel Standfestigkeit muss es erfordert haben, damals und noch dazu als gesellschaftlich nicht gleichberechtigte Gruppe, sich derart gegen den Strom zu positionieren! In ihren- ungehört gebliebenen – Appellen sahen diese Frauen bereits die schlimmen Folgen des Weltkriegs voraus, als ihre Männer noch auf einer Welle der Siegeszuversicht ritten. Und dachten in transnationalen Dimensionen, während der Nationalismus allerorts auf fatale Art grassierte.  Im April kommenden Jahres, zum 100. Jubiläum, möchte ich diese historische Initiative unbedingt ausführlicher thematisieren, als Blog-Beitrag und vielleicht sogar mit einer Veranstaltung, falls ich ein geeignetes Forum dafür finde. Mit der Referentin, Frau Dr. Susanne Hertrampf, Stiftung Archiv der Deutschen Frauenbewegung, werde ich in allernächster Zeit diesbzgl. nochmals Kontakt aufnehmen.

Mehr Infos vorab finden sich unter nachstehendem Link:
http://www.addf-kassel.de/stiftung-archiv-der-deutschen-frauenbewegung-wwwaddf-kasselde/



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

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