Herzogin Sophie Charlotte – Eine Frau, die zu früh lebte

‚Emanzipiert, für geisteskrank erklärt, entmündigt. Herzogin Sophie Charlotte war mit König Ludwig II. verlobt, heiratete einen französischen Adligen und wollte diesen dann für einen bürgerlichen Arzt verlassen‘.

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Sophie Charlotte um 1866, Foto: C. Sepp

Biograf Christian Sepp über eine Frau, die zu früh lebte“, resümiert Oliver Das Gupta nach einem SZ-Interview mit dem Autor. Die Rede ist von  Sophie Charlotte – Sisis leidenschaftliche Schwester – So lautet auch der Titel des Buches, erschienen 2014 im August Dreesbach Verlag und jetzt auch als Taschenbuch erhältlich. In diesem SZ-Interview bringt Autor und Historiker Christian Sepp das Außergewöhnliche dieser Frau auf den Punkt: „Ihr Wertesystem war ein anderes als im 19. Jahrhundert im Hochadel üblich. Gefühle und persönliches Glück waren ihr im zentralen Augenblick ihres Lebens wichtiger als alles andere.“ Spuren dieser emotionalen Hingabe führen  auf den Alten Südlichen Friedhof. Im Familiengrab der Familie Hanfstaengl liegt der Prokurist Edgar Hanfstaengl begraben,  Sophies „theurer, lieber Freund“, zu dem sie eine heimliche Beziehung während ihrer Verlobung mit König Lugwig II. unterhielt. „Als ihr Verlobter in Paris weilt, schreibt sie an Edgar gleich in ihrem ersten Brief: ‚Hoffnung gibt es keine für uns. Was bleibt uns – Entsagen.

Mit Schauder blicke ich in die Zukunft, der Tag meiner Trauung steht wie ein schwarzer Schatten vor meiner Seele, ich möchte entfliehen dem unbarmherzigen Schicksal. Warum mußte ich Dich kennen lernen, jetzt da meine Freiheit in Feßeln geschlagen ist?“  ist in Christian Sepps Biografie nachzulesen, denn Sophie Charlottes Briefe hat ihr Geliebter aufbewahrt, entgegen ihren ausdrücklichen Wunsch.

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Schatulle von Sophie Charlotte; Foto C. Sepp

Fünf dieser Briefe sind bis heute erhalten und wurden von Hanfstaengls Tochter 1980 dem Münchner Autor und Fotografen Heinz Gebhardt übergeben, der auf Grund dieser Dokumente das Buch König Ludwig II. und seine verbrannte Braut schrieb – und mir 2013 davon erzählte, als ich zu meinem Projekt über den Alten Südlichen Friedhof in München recherchierte. Mich faszinierte die Geschichte sosehr, dass ich sie auf Facebook postete, wo sie mein Freund, der Historiker Christian Sepp las, der bereits zu Sophie Charlotte recherchierte und darauf hin Heinz Gebhardt kontaktierte. Darüber hinaus recherchiert Christian Sepp u. a. intensiv  im Geheimen Hausarchiv und im Münchner Stadtarchiv und stößt über Ebay schließlich auf einen Fund, der es ihm ermöglicht, wichtige Wissenslücken zu schließen.

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Aus dem Nachlass von Louise von Bayern, Tochter von Sophie Charlotte. Die Dokumente und Fotos befinden sich nunmehr in Besitz des Autors und Historikers Christian Sepp

In seinem Vorwort schreibt er: „Ein Brief aus dem 19. Jahrhundert zum Verkauf auf eBay. Aber es kommt noch besser: Denn der Brief entpuppt sich als Teil eines kleinen Nachlasses, der von einer Privatperson angeboten wird. Ich zögere nicht wirklich lange und wenige Tage später, mitten im Hochsommer, steht eine blau-weiße Briefschatulle auf meinem Küchentisch, dazu zwei Ordner gefüllt mit Briefen, Bildern, Postkarten, Sterbebildchen, Zeitungsausschnitten und vielem mehr. Bei der ersten Durchsicht stelle ich fest, dass all diese liebevoll gesammelten Erinnerungen aus dem Nachlass der Prinzessin Louise von Bayern, Sophie Charlottes Tochter, einer geborenen d’Orléans stammen müssen (…) Und mir wird klar: Wenn das kein Auftrag ist, die Geschichte zu erzählen, was dann?

Liebevoll gestaltete Taschenbuchausgabe
Liebevoll gestaltete Taschenbuchausgabe

Als ich die ersten Kapitel des Buches gelesen hatte, schickte ich Christian Sepp spontan eine Mail: „Frage mich, wie Du die akribische Recherche, die man hinter jeder Zeile des Buches spürt, in nur so kurzer Zeit hinbekommen hast? Ich lerne dank Dir gerade viel Neues über die jüngere bayerische Geschichte.“ Darauf antwortete er: „Reine Recherchezeit waren ca. sieben Monate, aber nebenher habe ich gearbeitet. Dann habe ich mir sieben Wochen freigeschaufelt und ca. ein Drittel des Textes geschrieben. Danach habe ich wieder Arbeit und Schreiben kombiniert und mir immer einzelne Wochen freigenommen. Vom Vertragsabschluss mit dem Verlag bis zur Abgabe des Manuskripts lagen in etwa zwanzig Monate. Es war einfach meine Sympathie für Sophie, die mich so vorangetrieben hat – und dass mich die Geschichte so berührt hat, vor allem je mehr ich darüber herausgefunden habe.“

An Christian Sepps Biografie fesselt mich in der Tat besonders, wie sensibel und detailliert er die Lebensumstände dieser Adligen des 19. Jahrhunderts nachempfindet. Gefangen in den Konventionen und patriachalischen Strukturen ihrer Zeit, steht Sophie Charlotte (1847 – 1897) exemplarisch für die untergeordnete Rolle der Frauen damals. Entsprechend stellt Christian Sepp an den Anfang seines Buches die letzte Strophe von Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht, „Am Turme“. Es endet mit den Zeilen:

Nun muß ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
Und lassen es flattern im Winde!

Ferdinand von Orléans, Herzod von Alencon, Sophie-Charlottes Ehemann
Ferdinand von Orléans, Herzog von Alencon, Sophie Charlottes Ehemann

Als zwanzigjährige Braut des Königs von Bayern fügt sich Sophie Charlotte noch dem gesellschaftlichen Diktat ihrer Zeit und beendet die Romanze. Doch nur kurz darauf löst der König, der sich Hals über Kopf in Richard Horning verliebt hat, selbst die Verlobung. Sophie Charlotte muss sich damals doppelt vom Schicksal verhöhnt gefühlt haben, folgt aber zunächst weiter dem einer Frau ihres Standes vorgezeichneten Weg und ehelicht Ferdinand von Orléans, Herzog von Alencon.

Sophie_Charlotte_von_Alencon_Christian_Sepp_jourifxe-BlogAls sich aber Herzogin Sophie Charlotte mit vierzig Jahren noch einmal unsterblich verliebt, ist sie fest entschlossen, diesmal alle Standesraison fallen zu lassen und ihrem Herzen zu folgen. Sie fordert von ihrem Mann die Scheidung, um den bürgerlichen Arzt, Dr. Franz Glaser zu heiraten. Ein solches Anliegen vorzutragen, hat sich in der 700jährigen Geschichte des Hauses Wittelsbach noch keine Frau getraut! Auch musste Sophie Charlotte klar gewesen sein, wie ausgeprägt bei ihrem Mann, noch dazu ein strenggläubiger Katholik, das Standesbewusstsein war. Entsprechend groß gestalteten sich seine Bemühungen, Sophie, mit Unterstützung der ganzen Familie, von ihrem Vorhaben abzubringen. Als weder gute Worte noch Drohungen fruchteten, erklärte man sie für geistesgestört und sperrte sie für einige Zeit in das Sanatorium Maria Grün bei Graz weg. „Wollen sie es mit mir machen, wie mit dem König?“ hält Sophie Charlotte bei ihrer Einlieferung dagegen.

 

"Für die Nervenleidenden aus den höheren Klassen der Gesellschaft": Das Sanatorium Maria Grün vor den Toren von Graz; Foto: C. Sepp
„Für die Nervenleidenden aus den höheren Klassen der Gesellschaft“: Das Sanatorium Maria Grün vor den Toren von Graz; Foto: C. Sepp

Schließlich resigniert sie und wird nach einiger Zeit wieder in die Obhut beziehungsweise unter die Kuratel ihrer Familie entlassen. Während des letzten Jahrzehnts ihres Lebens wendet sie sich verstärkt ihrem Glauben und karitativen Aufgaben zu, mit der selben leidenschaftlichen Hingabe, die ihr in der Liebe auszuleben verwehrt geblieben war. Ihren Tod  ahnt sie voraus und verfügt, mit kahl geschorenem Schädel und im Gewand einer Ordensschwester beigesetzt zu werden. So entledigt sie sich mit ihrem letzten Willen auch endgültig der  Insignien ihrer Weiblichkeit. Das wirft bei mir die Frage auf, ob sich ihr Gewissen zuletzt doch noch dem Zeitgeist gebeugt hat?

Zeitgenossische Zeichnung des furchtbaren Brands auf dem Wohltätigkeitsbazar
Zeitgenossische Zeichnung des Unglücks

Sie stirbt in einem Feuer, das 1897 auf einem Wohltätigkeitsbazar in Paris ausbricht. Sophie Charlotte wird nur fünfzig Jahre alt, doch betrachtet man ihre Fotos im Verlauf der Jahre, so hat sie eine innere Flamme längst selbst verzehrt, eh es die wirklichen Flammen vollenden. Identifiziert werden kann sie nur noch durch ihren Zahnarzt.

Sophie Charlotte war ein Opfer der Konventionen ihrer Zeit, eines von vielen, denen Theodor Fontane mit seinem Gesellschaftsroman „Effi Briest“ ein tragisches Denkmal setzte. Darin mahnt Luise von Briest ihre Tochter: „Nicht so wild Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe …“

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, denke ich oft, wie viel mehr Welt und Wahlmöglichkeiten mir offen gestanden sind und noch immer stehen, als selbst noch der Generation meiner Eltern. Obgleich Konventionen heutzutage in weiten Kreisen glücklicherweise eine eher zweitrangige Rolle spielen, so habe ich, in der mir eigenen Maßlosigkeit des öfteren so über die Stränge geschlagen, dass immer wieder die eine oder andere Stimme laut wurde, ich wäre nicht ganz dicht … In eine Anstalt eingewiesen hat mich aber niemand; dazu ist unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zu tolerant geworden. Den 68ern sei herzlich gedankt!
Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten eine freiheitliche Gesellschaftsordnung erkämpft, die Tragödien wie die literarische einer „Effi Briest“ oder die reale einer Sophie Charlotte heute undenkbar machen. Mögen wir sie uns erhalten!

 


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Christian Sepp, Autor der Biografie „Sophie Charlotte – Sisis leidenschaftliche Schwester“ vor Schloss Possenhofen am Starnberger See, ehemaliges Sommerschloss der Herzöge in Bayern

 


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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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