„Ich drücke mit großem Vergnügen die Tasten …“ Der Komponist und Autor Thomas Erich Killinger am Piano des Historicals „Kann denn Liebe Sünde sein?“ über den schwulen UFA-Textdichter Bruno Balz

… ich drücke mit großem Vergnügen die Tasten … ein wirklich hörens- und sehenswertes Ereignis … , schreibt der Komponist, Arrangeur und Autor Thomas Erich Killinger auf seiner offiziellen Facebook-Seite. anlässlich der bevorstehenden Wiederaufnahme meines Historicals „Kann denn Liebe Sünde sein? Bruno Balz, Hitlers heimlicher Hitschreiber.

Ein solches Statement schmeichelt zum einen, ist aber zum anderen für Produzent*Innen der Freien Künstlerszene unverzichtbar, wenn es darum geht, jemanden für ein Projekt zu gewinnen, der über das übliche Budget eigentlich nicht zu finanzieren wäre. Das gilt in meinem Fall für die Kooperation mit Thomas Erich Killinger, der für gewöhnlich mit umfangreichen Musik- und Musical-Produktionen befasst ist.

Thomas Erich Killinger dokumentierte einige Musik-Produktionen aus seiner kompositorischen  Feder in einer Bildcollage auf seiner offiziellen Facebook-Seite 


2016 stand eine Aufführung im NS-Dokumentationszentrum München an, und mein damaliger musikalischer Leiter war auf der Suche nach Playbacks für die beiden wichtigsten Chansons! Es handelte sich um Lieder die eine thematische Klammer im Stück bilden, um Das Lila Lied, die Hymne der Berliner Schwulen von 1925 und um Zeig der Welt nicht Dein Herz (1938), jener Song, der einem persönlichen Lebensmotto von Bruno Balz entspricht. Jedoch handelte es sich bei diesen zwei Titeln um offensichtlich musikhistorische Raritäten, die, anders als geläufige Zarah-Leander-Hits wie  Davon geht die Welt nicht unter oder Waldemar, als Playback nicht verfügbar waren.

Thomas Erich Killinger

Die Aufführung rückte näher und meine Nervosität wuchs, als es zwei Tage vor unserem Auftritt plötzlich auf dem Anrufbeantworter hieß: „Gaby, wir haben jetzt einen Pianisten …“ 
Gemeint war Thomas Erich Killinger, der laut eigener Homepage, wie auch laut Wikipedia, eine erfreulich vielseitige künstlerische Vita auf hohem Niveau aufwies. Killinger, obgleich selbst eine „Hete“ (wie heterosexuelle Männer mitunter in der LGBT-Communitiy genannt werden) fühlte sich von der Thematik des Stücks, der Verfolgung schwuler Männer in der NS- und Nachkriegs-Zeit (§ 175), aus dem Stand heraus angesprochen. Daher schlug er spontan vor, nicht Playbacks einzuspielen, sondern selbst, inklusive eigenem E-Piano aufzutreten! Die Erklärung dafür lieferte er mir bei einem Facebook-Chat im Anschluss an die Aufführung nach:

Albrecht v. Weech, T. Killinger

… nicht nur, weil ich die Menschen schätze, die sich für dieses Programm einsetzen, nein auch und besonders berührt und interessiert mich Bruno Balz

Dieses Statement Killingers schloss den KünstlerJürgen Draeger ein, dem als Zeitzeuge eine Schlüsselrolle in der Produktion zukommt, als letzter Lebensgefährte und Nachlass-Verwalter von Bruno Balz.

Killinger bei seinem ersten Bruno-Balz-Auftritt, 2016, NS-Dokuzentrum München

In O-Ton-Einblendungen enthüllt Jürgen Draeger [*scheinbar] ein bislang nur fragmentarisch bekanntes Kapitel deutscher Kulturgeschichte in so packenden Schilderungen, dass Killinger bereits nach der ersten Probe sinngemäß äußerte: Mein Einsatz hat sich für mich jetzt schon gelohnt. Eine bemerkenswert idealistische Einstellung in einer Branche, die für besonders harte Existenzkämpfe steht!

Seither hat Killinger die Weiterentwicklung der Produktion mit seinem Bühnen-Know How maßgeblich unterstützt und Schauspieler Lutz Bembenneck als Erzähler ins Ensemble geholt. Schließlich konnten wir noch den schillernden Chansonnier Albrecht von Weech als Interpret der UFA-Hits von Bruno Balz gewinnen. Und wieder investierte Thomas Erich Killinger viel Herzblut und noch mehr Zeit, um gemeinsam mit Albrecht von Weech einen mitreißenden Livemusik-Teil für das Historical zu entwickeln. Das Foto links zeigt die beiden Künstler 2018, bei Proben im Schwabinger Haus von Albrecht von Weech (im Foto links).
Soviel Einsatz wurde bei unserer Aufführung im November 2018, in der Pasinger Fabrik, mit einem ausführlichen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung „Zarahs Wunder“ belohnt und mit einer ausverkauften Vorstellung in der geräumigen Wagenhalle des Theaters.

V.l.: Thomas E. Killinger, Albrecht von Weech, Lutz Bembenneck, Gaby dos Santos; 2018, Pasinger Fabrik/Wagenhalle

Nachtrag:

Nachtrag:
Eine fast zwanzigjährige Erfolgsgeschichte seit der Uraufführung und Weiterentwicklung ihres Historicals über den schwulen Textdichter Bruno Balz lag hinter Produzentin Gaby dos Santos, als sie unvermittelt mit abweichenden historischen Fakten konfrontiert wurde: Ausgerechnet die Schriftstellerin Micaela Jary, Tochter des Komponisten und Balz Intimus Michael Jary legte detailliert dar, dass die von Jürgen Draeger in Umlauf gebrachten Schilderungen wenig mit den zeitgeschichtlichen Tatsachen übereinstimmten, ihnen teilweise sogar widersprachen!
Nun gilt es also „aufzuräumen“ mit einer zeitgeschichtlichen Fabel, bei der es sogar HistorikerInnen versäumten, genauer nachzufragen, verblendet durch einen biografischen Plot, der sich zwischenzeitlich als „in seiner Tragik zu schön, um wahr zu sein“ entpuppt hat. Umso spannender verspricht die Überarbeitung der Bühnencollage „Kann den Liebe Sünde sein – Bruno Balz“ zu werden, in der Gaby dos Santos plant, den O-Tönen Jürgen Draegers die historischen Fakten gegenüberzustellen: Die Hintergründe zu einer Legendenbildung, insbesondere wenn sie sich derart im gesamten deutschprachigen Raum verbreitet, können selbst eine spannende Vorlage ergeben, insbesondere, wenn es sich um ein derart neuralgisches Thema, wie die Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Holocaust von Minderheiten.

Wirklich Licht ins Dunkel der Balz’schen Biografie und der seines musikalischen Kompagnons, Michael Jary, bringt der Dokumentarfilm Im Schatten der Träume (2024)  des Schweizer Filmemachers Martin Witz (Regie, Drehbuch).
Diesen ebenso unterhaltsamen wie informativen Film möchte Gaby dos Santos 2026, im Rahmen einer besonderen Soiree, dem Münchner Publikum ans Herz legen und dabei nochmals durch Jahrzehnte deutscher Kultur-, Film- und Musikgeschichte streifen, verzaubert zwischen Schein und Sein…
Das Schweizer Plakatmotiv von Im Schatten der Träume sowie Momentaufnahmen des Münchner Previews am 5. Februar 2025 mit Martin Witz (Drehbuch und Regie) sowie der Sängerin und Zeitzeugin im Film, Bibi Johns

Weiterführende Links:

Jürgen Draeger auf Wikipedia  –  SZ-Portrait 2018

Das Bruno Balz Archiv             www.bruno-balz.com

Die veruntreute Vita des schwulen Textdichters Bruno Balz (2022)

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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