„Satire ohne Inhalt ist nur ein schlechter Witz“: OLIVER SKERLEC, Kanzlerkandidat für „DIE PARTEI“ und Diakon der EKG: Seine Beweggründe und meine Eindrücke, dazu (satirische) Zitate und ernste Hintergründe

„Selig sind die geistlich Armen“ stand auf einem Wahlplakat, auf dem ausgerechnet der Diakon meiner evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Johannes die Hände zum Segen in Richtung Reichstag streckte, in seiner mir vollkommen neuen Funktion als Kanzlerkandidat von DIE PARTEI!!! Gefolgt von einem Zusatz, dass besagte PARTEI „christlicher“ als die CSU sei, was wiederum kein Kunststück ist, wenn man sich die Positionierung Letzterer insbesondere in der Flüchtlingsfrage ins Gedächtnis ruft …

Andererseits hatte ich DIE PARTEI nicht gerade als besonders kirchennah auf dem Schirm, kannte sie vielmehr als eine Satire-Partei, deren Gründer und Aushängeschild Martin Sonneborn (ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins TITANIC und bekannt aus der ZDF Heute-Show) es bis ins Europa Parlament geschafft hat.

Links Martin Sonneborn, Satiriker und Mitglied im Europaparlament, 2014, Foto: Olaf Kosinsky > Quelle Wikipedia / Rechts HOMEPAGE-BANNER von DIE PARTEI

Doch wie war unser Diakon dort zu verorten? Kurz überlegte ich, ob er vielleicht der Kirche den Rücken zugekehrt hatte? Das wiederum konnte ich mir aber nicht wirklich vorstellen. Während ich noch rätselte und beschloss, ihn bei nächster Gelegenheit einfach selbst zu fragen, lieferte die Süddeutsche Zeitung mir die Auflösung frei Haus:

… erklärt hier einer einfach nur das deutsche Volk für blöd?
Weit gefehlt, die Geste ist eine christliche, wie Skerlec ausführt und zweifelsfrei belegen kann, schon weil er hauptberuflich Diakon der evangelischen Kirche in Haidhausen ist. Es ist die Geste, die den Segen begleitet, der den Gläubigen gespendet wird. Zusammen mit dem Bibelspruch, der ursprünglich nichts mit der Interpretation des Volkes zu tun hat (Selig sind die geistig Armen, also die Dummen) soll das nicht zynisch oder lustig wirken.

Es soll eine Aufforderung an die Politik sein, sich wieder mehr geistlichen Werten zuzuwenden, die Skerlec dort so oft vermisst: Redlichkeit, Besonnenheit, faires Miteinander. Damit fällt er bestimmt auf, und er vermeidet, was ihn an Wahlkämpfen wahnsinnig stört: all die Plattitüden auf den Plakaten. (…)

Fundstücke aus dem Münchner Wahlkampf von Heiner Effern, SZ.de > MEHR

Insbesondere der zweite Teil von Skerlecs Argumentation, ein Appell an die Politik mit den Mitteln satirischer Zuspitzung, traf bei mir auf absolute Zustimmung. Seit einiger Zeit vermeide ich jede Talkshow, weil ich dieses ärgerlich weit verbreitete „PolitikerInnen-Sprech“ im TV einfach nicht mehr hören mag!

Zudem habe ich die meisten Werbespots und Wahlplakate 2021 als bestenfalls uninspiriert empfunden, oft sogar als inhaltlich fragwürdig. Allen voran das Plakat von Olaf Scholz: Obgleich der Wirecard-Skandal eine massive Lücke bei der Finanzaufsicht in Deutschland offenbarte, wirbt der SPD-Kanzlerkandidat ausgerechnet mit dem Qualitätssiegel „KOMPETENZ“! Ohne seine sonstige Regierungserfahrung in Frage zu stellen, empfinde ich diese Wortwahl, vor dem Hintergrund eines Finanzskandals, für den er als Bundesfinanzminister verantwortlich zeichnet, als … nun ja, gewagt! Und als entsprechend wohltuend anders Skerlecs Wahlplakat, das einen Kontrapunkt zum vorherrschenden Trauerspiel in der Wahlwerbung setzt!

Doch wie sinnvoll ist eine Partei, die sich, ohne wirkliche Regierungschancen und Ambitionen, auf das reine Bloßlegen politischer Schwachstellen beschränkt?

Ist die Lage in Deutschland nicht zu ernst dafür?

Treffen zur Fragerunde mit Oliver Skerlec, Kanzlerkandidat für München OST/Haidhausen für DIE PARTEI,
September 2021, Café Haidhausen

Jein,“ lautet mein Fazit, nach Recherchen und einem ausführlichen Gespräch mit Kanzlerkandidat Oliver Skerlec. Hinzu kommt, dass mir das Prinzip des politischen Aktivismus durch Provokation aus meiner Jugendzeit in Italien bereits geläufig ist: In den 1970/80er Jahren hatte ich dort die öffentlichkeitswirksamen Aktionen des Partito Radicale verfolgt, die zu einem Parlamentsmandat für Pornostar Ilona Staller, alias Cicciolina führten und zur Entzauberung so mancher Heiligen Kuh der dortigen parlamentarischen Gepflogenheiten. Im damaligen politischen Italien Novum und Notwendigkeit, angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.

PARTITO RADICALE in Italien 1970/80er Jahre: Politische Anliegen und Provokation:
Marco Panella, damals Parteichef, demonstriert 1974 für das Recht auf Ehescheidung
Pornostar und Abgeordnete Cicciolina auf einer Demo 1989

Dass Kritik im satirischen Gewand eine unverzichtbare, weil korrektive Rolle innerhalb von Machtgefügen zukommt, zeigte sich aber nicht erst im Bella Italia des vorigen Jahrhunderts, sondern bereits im Mittelalter, kunstvoll ausgeübt durch den Hofnarren:

Zum Hofstaat mittelalterlicher Herren gehörte seit dem 12. Jh. häufig der Hofnarr, ein geistreicher Spaßmacher von oft auffälligem Aussehen (…). Er konnte seinem Herrn als Ratgeber und Vertrauter nahestehen und zu beträchtlichem Einfluss kommen. (…) Die Narrenfreiheit bestand darin, ungestraft Spott treiben, Unbequemes und Verpöntes aussprechen zu dürfen.

Der dem Halten von Hofnarren zugrundeliegende Sinn dürfte gewesen sein, dass die Gegenwart des Defekten den Herrscher stets an die eigene Unvollkommenheit und Hinfälligkeit erinnern sollte. (…)

MEHR unter > www.mittelalter-lexikon.de

Besondere Meister des Hofnarrentums ließen sich die Herrschenden seinerzeit durchaus einiges kosten. Insofern kann ich den Vorwurf, Martin Sonneborn verschwende im Europa Parlament parasitär Steuergelder, nur bedingt nachvollziehen: Da sind Steuergelder schon mit wesentlich weniger Nutzen für die Allgemeinheit verschleudert worden, als durch diesen satirischen Sezierer des Politbetriebes, der damit ab und an sogar ein Volk zum Lachen bringt, das momentan so viel zum Lachen nicht hat.

Natürlich kann das Engagement von DIE PARTEI, das sich auf eine satirische Korrektiv-Funktion konzentriert, das Regieren nicht ersetzen. Zudem sind so manche ihrer Aktionen scharf an der Grenze des guten Geschmacks entlang geeiert und über das Ziel hinaus geschossen, mit teilweiser Bumerang-Wirkung:

So hatte Martin Sonneborn bei seiner Kandidatur für das Europa-Parlament mit dem Slogan Ja zu Europa, Nein zu Europa geworben und, nach seinem geglückten Einzug, konsequent abwechselnd auf die Abstimmungknöpfe gedrückt, ungeachtet der Tatsache, dass er durch dieses Procedere das eine oder andere Mal auch mit rechts außen angesiedelten Gruppierungen stimmte. Das ging vielen BeobachterInnen, die bislang eher wohlwollend auf Sonneborn und seine PARTEI geblickt hatten, dann doch zu weit. Zum Glück jedoch handelt es sich bei DIE PARTEI um eine ebenso experimentierfreudige, wie flexible Partei, und so fand Sonneborns fragwürdige Abstimmungstaktik bald ein Ende.

Zumal es den Mitglieder bei ihren Aktionen und Äußerungen keineswegs um Nonstop Nonsens geht. Es gilt, ganz im Gegenteil, das Motto:

Satire ohne Inhalt ist nur ein schlechter Witz!

Credo von DIE PARTEI sowie von Kanzlerkandidat Oliver Skerlec (München Ost)
Die KanzlerkandidatInnen von DIE PARTEI für München Stadt:
Wahlkreis Nord: Phil Rückel, Wahlkreis Mitte: Philipp Drabinski, Wahlkeis Ost: Oliver Skerlec, Wahlkeis Süd: Anja Mebes

Liest man zwischen den Zeilen der politischen Äußerungen von DIE PARTEI und ihrer Mitglieder, kristallisiert sich sehr wohl eine politische Haltung heraus, meiner Lesart nach eine Essenz sozialer und grüner Positionen, gewürzt mit Seitenhieben gegenüber der Praxis politischer Kosmetik und Küngeleien. Diesbezüglich bildet der Kanzlerkandidat der PARTEI für München Ost, Oliver Skerlec, keine Ausnahme:

Frage eines Herrn S. auf abgeordnetenwatch.de: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler-Kandidat, Wie gedenken Sie der Legislative Feuer unter ihrem Hintern zu machen, um eine biergartenfreundliche Klimapolitik zu gewährleisten?

O.S.: Hallo Herr S.! Danke für ihre Frage! Zuerst möchte ich auf mein Programm zur verpflichtenden Teilnahme am Car-Crash-Derby für alle SUV BesitzerInnen hinweisen. Somit werden die großen Klimasünder schon mal kräftig reduziert. Als erneuerbare Energie setze ich auf ein Dampfplauderkraftwerk gekoppelt an die €SU und SPD Zentralen. Die viele heiße Luft die hier produziert wird muss in jedem Fall nachhaltiger genützt werden!

> MEHR Fragen an Oliver Skerlec auf abgeordentenwatch.de

Nun ist leider das akribische Wahrnehmen von Inhalten nicht gerade eine Paradedisziplin zeitgenössischer Diskussionskultur. Manchmal kann ein Punkt am Ende eines Slogans den Unterschied machen, vorausgesetzt, man versäumt das Lesen nicht 😉
Entsprechend sorgte nachstehendes Plakat für einiges Aufsehen und landete vor Gericht. Dort beherrschte man glücklicherweise die kleinen, aber feinen Nuancen der Interpunktion, so dass das Plakat weiterhin in Gebrauch bleiben darf …

Kanzlerkandidat Oliver Skerlec bei einer Demo auf dem Münchner Karlsplatz/Stachus

Nazis töten.
Keinesfalls ein Aufruf – sondern ein wichtiger Hinweis!
Nach Halle, Hanau und dem Mord an Walter Lübcke wichtiger denn je! Die AFD schürt die menschenverachtende Gedankenwelt der Täter! Deshalb: Keinen Millimeter nach rechts!

Erläuterung von Oliver Skerlec, Kanzlerkandidat für DIE PARTEI in einem > Facebook-Post

Doch wie kommt ein Diakon der EKG zu DIE PARTEI?

Dazu schreibt Oliver Skerlec:
Ich würde mich generell als politisch sehr interessierten Menschen beschreiben. Schon seit jeher war Politik in meiner Familie ein ständiges Gesprächsthema, und ich habe schon öfters ein konkretes Engagement überlegt. Der Einsatz für die Benachteiligten und Zurückgelassenen unserer Gesellschaft war sicher auch, neben meiner festen Glaubensüberzeugung, mitentscheidend für meine Berufswahl als Diakon.

Seit im Jahr 2015 die Flüchtlingsbewegung derjenigen begann, die durch Krieg und Terror gezwungen waren hilflos ihr Land zu verlassen, verstärkte sich mein Wunsch diesen Menschen konkret helfen zu wollen.

Insbesondere das Erstarken des politisch rechten Randes unserer Gesellschaft setzte mir richtiggehend zu und beschäftigte mich in hohem Ausmaß. Ich schätze den Rechtsextremismus in Deutschland als sehr reelle Gefahr ein, dem es mit allen demokratischen Mitteln und mit höchster Zivilcourage entgegenzutreten gilt. Die Attentate des sogenannten NSU, sowie die offengelegten Details im Laufe des Aufarbeitungsprozesses, offenbarten für mich zum ersten Mal in aller Deutlichkeit zu was Menschen bereit und fähig sind und wie umfangreich ein rechtes Netzwerk in Deutschland vorhanden ist. Hinzu kam hier ein für mich sehr erschreckendes Bild des eklatanten Versagens der Sicherheitsbehörden sowie von Polizei und Verfassungsschutz.

Zu all dem hinzu drängt sich mir immer mehr ein Bild der etablierten Politik auf, die zum einen extrem auf den eigenen Vorteil bedacht ist (Stichwort „Maskenaffäre“) und zum anderen bisher keinerlei Antworten auf das Erstarken des politischen rechten Randes gefunden hat.

Meiner Überzeugung nach muss auch unsere Kirche, wenn sie dem Auftrag Jesus Christi entsprechen möchte, hier deutlich und glasklar Position beziehen.

An dieser Stelle zitiert Skerlec den bayerischen Landesbischof und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, dessen Position Skerlec sich anschließt:

„Ich bin zuallererst Christ.
Dann bin ich ein Amtsträger meiner Kirche.

Und wenn man das zugrunde legt, kommt man am Politischen gar nicht vorbei.“

Heinrich Bedford-Strohm

Oliver Skerlec weiter: Nun, warum gerade ein Engagement in der PARTEI?


Das Satire Magazin Titanic, aus dem die DIE PARTEI hervorgegangen ist, begleitet mich schon eine sehr lange Zeit. „Genschman“ und „Birne Kohl“ sind für mich Erinnerungen aus Kindertagen. Ich bin mir bewusst, dass politische Satire oft eine scharfe Gratwanderung darstellt. Im ungünstigsten Fall kann sie Menschen auch verletzen, ein Umstand, den es aus meiner Sicht so gut wie möglich zu vermeiden gilt.

Aber, und das ist für mich ausschlaggebend …

… politische Satire weckt auf und weist auf unkonventionelle Art und Weise dezidiert auf Missstände der Gesellschaft hin.

Oliver Skerlec

Das kann auch durchaus unangenehm sein, notwendig ist es meinem Erachten  nach alle Mal:

Ich habe durchaus das Gefühl, dass weite Teile der Gesellschaft von der Politik gar nicht mehr erreicht werden. So müssen neue Wege gegangen, ja zumindest versucht werden. Satirische Aktionen können hier durchaus auch zum Erfolg führen. Die PARTEI ist mit diesem Weg auch immer wieder im Kleinen erfolgreich.

Foto > DIE PARTEI

Ein gutes Beispiel ist hierfür der GELDVERKAUF, der Absurditäten der Parteienfinanzierung offenlegte, der AFD Schaden eingebracht hat und zu einer Gesetzesänderung führte.

Zum > BEITRAG 29.05.2020
aus DER SPIEGEL 23/2020

Gegründet „aus Notwehr“ gegen das politische Establishment hat die PARTEI mittlerweile an vielen Stellen an Seriosität zugelegt. Sie ist vertreten im Europaparlament, im deutschen Bundestag sowie in zahlreichen kommunalen Parlamenten, unter anderem auch im Münchner Stadtrat. Der hart erarbeitete Ruf der PARTEI als „Spass Partei“ bekommt so den einen oder anderen Riss. (…)

(ENDE DER – AUSSCHNITTSWEISE ZITIERTEN – ERLÄUTERUNGEN VON OLIVER SKERLEC)


Mein Fazit: Auch wenn DIE PARTEI Realpolitik nicht zu ersetzen vermag, jedenfalls nicht in ihrer derzeitigen Form, so wirft sie, mit den Mitteln der Satire, wichtige Schlaglichter auf den politischen Betrieb. Als in dieser Hinsicht aussagestark empfinde ich nachstehendes Video einer Rede Sonneborns im Europa Parlament. Angesichts von deren Wahrheitsgehalt bleibt mir das Lachen im Hals stecken, und ich wünschte, DIE PARTEI würde weitaus weniger dringend gebraucht. Doch ganz offensichtlich ist das Gegenteil der Fall:

So gesehen möchte ich DIE PARTEI weder missen, noch erleben, dass sie, im Stil von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Tages ebenfalls zu einer realpolitischen Partei mutiert. Nein, Deutschland braucht dringender denn je seine Hofnärrinen und Narren in den Zentren der Macht. Unter anderem auch, weil man in Deutschland dazu neigt, die demokratische Wachsamkeit der BürgerInnen mit einer Dogmatik des erhobenen Zeigefingers zu narkotisieren. Über Missstände zu lachen hingegen hält wach-sam!

Darüber hinaus empfiehlt sich DIE PARTEI derzeit als veritable Alternative für all diejenigen, die bei der jetzigen Bundestagswahl keiner der etablierten Parteien ihre Stimme geben möchten. Warum dann nicht die PARTEI wählen, statt durch Nichtwählen dem Extremismus eine Stimme mehr zu schenken ..?


Oliver Skerlec im > TZ-Steckbrief vom 7.7.2021



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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