„Im Schatten ist das Licht am hellsten …“ – Fotograf Sigi Müller, auch bekannt als Stadtspaziergänger der Münchner Abendzeitung, in einem Galerie-Portrait

Die frühen Morgenstunden im Englischen Garten als wiederkehrende Kulisse für atmosphärisch dichte Fotos, die ein Hund in derart strahlendem Weiß dominierte, dass er aussah wie ein mit Dash gewaschener, überdimensionaler Spitz….

Samoyeden-Hündin Shana, aufgenommen von Sigi Müller am 12.9.2022, bei einem der regelmäßigen Spaziergängen von Hund und Herrchen im Englischen Garten

Dazu jeweils kurze Kommentare, die die Bilderstrecken auf den Punkt und mich zudem oft zum Schmunzeln brachten, mir mitunter sogar ein lauthalses Lachen entlockten, was bei mir wirklich etwas heißen will!! Kurzum: Irgendwann im ersten Corona-Sommer entdeckte ich auf Facebook Sigi Müller, wurde Fan seiner Posts und entschloss mich, ihm eine Freundschaftsanfrage zu schicken, die er auch annahm.

21.06.2021, Sigi Müller in seinem Studio; Foto: Gaby dos Santos

Damit begann für mich eine anregende Auseinandersetzung mit der Bildersprache eines versierten Fotografen, der zum einen sein Handwerk von der Pike auf erlernt hatte, darüber hinaus aber das Talent mitbrachte, mit seiner Kamera zu zeichnen. Zwar bedeutet der Begriff des „FotoGrafierens“ per se nichts anderes als mit Licht zu zeichnen; diesen Vorgang aber tatsächlich herzustellen, verlangt weit mehr Können, als das schlichte Betätigen eines Auslösers. Erst durch das „Grafieren“ erlangt ein Foto Vollkommenheit, eine Anforderung, die beherrscht sein will und sich im Spannungsfeld von hell und dunkel, Licht und Schatten entwickelt.

„Im Schatten ist das Licht am hellsten.“

Fotograf Sigi Müller in einem Facebook-Post vom August 2022
Die Fotostrecke dazu im obigen Screenshot

Im Spannungsfeld von hell und dunkel:
Weitere Fotos von Sigi Müller

Die Fotos im Uhrzeigersinn: Model vor der Bayerischen Staatsoper, historisches Gebäude in Salzburg, Karl-Valentin-Brunnen am Münchner Viktualienmarkt, zwei Aufnahmen aus den Isar-Auen

Das Wechselspiel von Helligkeit und Dunkelheit kommt insbesondere in der Blauen Stunde, an der Grenze zwischen Tag und Nacht sowie in der Morgendämmerung zur Geltung. In dieser kurzen aber maßgebliche Zeitspanne lassen sich fotografisch besonders intensive Effekte erzielen. Deshalb siedelt Sigi Müller häufig Fotostrecken in diesem zeitlichen Rahmen an, teilweise mit spektakulären Effekten:

Sigi Müllers Foto erscheint mir wie ein fotografisches Pendant zu den spektakulären Sonnenuntergängen William Turners (unteres Foto), nur ohne den Krakatau ALS, respektive AM Auslöser … 😉

Gaby dos Santos, Facebook-Kommentar vom 30.8.21

Sigi Müller erwidert:

Du hast geschrieben, das fand ich sehr schön, dass meine Bilder wie Gemälde aussehen.

Es ist nicht so, dass ich nur das Bild oder den Ausschnitt sehe, sondern zuerst das Licht. Das ist ganz entscheidend. Als Fotograf musst du das Licht spüren, sonst bist du kein guter Fotograf. (…)

Und du kannst auch nur da Licht verwenden, wo auch Schatten ist. Und beides in Kombination und Ausgewogenheit lässt diese Bilder wie Gemälde aussehen.

Ausschnitt eines Interviews von Gaby dos Santos mit Sigi Müller; 23.6.2021

Sigi Müllers Passion für die Blaue Stunde

Buchcover

ISBN: 978-3-7630-4022-3 – München Verlag
128 Seiten, durchgehend farbig illustriert,
flexibler Einband, Format 24 x 17 cm
Mit deutschen und englischen Texten

Was für außergewöhnliche Effekte sich in der Blauen Stunde erzielen lassen, spiegelt sich auch in Sigi Müllers Bildband (links) wieder: Beim Durchblättern hatte ich das Gefühl, in ein bis dato unentdecktes München einzutauchen.

Der Klappentext erläutert:

Entdecken Sie München zur „Blauen Stunde“! Frühmorgens und spätabends verzaubert das Spiel der Farben die Stadt. Ein Kunststück – zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, um die kurzen Momente im Bild festzuhalten! Münchens schönste Ansichten in Augenblicken voller Poesie zeigen Sigi Müllers Passion für diese ganz besondere Stimmung. (…)

Dazu Sigi Müller:

Die Blaue Stunde dauert abends in jeder Himmelsrichtung, je nachdem wie du fotografierst, nur ca. 10 Minuten. Da kannst du dir vorstellen, wie viele Abende ich mit den Bildern verbracht habe. Sie sind immer wieder beim Vorbeilaufen entstanden, während ich unterwegs war.

Viele Leute haben später die Bilder angeschaut und gesagt: „Mensch wir wussten gar nicht, was die Blaue Stunde ist. Doch jetzt, nach deinen Bildern, sehen wir sie auch im Alltag.“

Das fand ich schön.

Ausschnitt eines Interviews von Gaby dos Santos mit Sigi Müller; 03.6.2021
Foto: Sigi Müller, Selbstportrait; 14.8.2021

Viele von Sigi Müllers gelungensten Bildmotiven sind so – en passant – entstanden, eingefangen mit scharfem Rasterblick:

Ich schätze es sehr, dass ich dieses Auge habe, überall, wo ich stehe oder gehe. Wenn da ein Motiv ist, dann sehe ich das. Und ich sehe dann auch nur DEN Ausschnitt, der als Motiv funktionieren wird.

Diese Gabe wurde mir geschenkt, ich musste nichts dafür tun, den Rest drumherum habe ich mir natürlich erarbeitet.

Ausschnitt eines Interviews von Gaby dos Santos mit Sigi Müller; 07.7.2021

Das „Drumherum“, von dem Sigi Müller in obigem Zitat spricht, besteht zunächst einmal aus einer abgeschlossenen Foto-Lehre.

Eine Rolle spielt aber auch seine Jugend als gelernter Hesse (O-Ton München Verlag) in ländlicher Umgebung. Letztere vermittelte ihm früh ein Gefühl für die Welt von Flora und Fauna, das sich bis heute in seiner Naturfotografie widerspiegelt; beispielsweise in den Fotostrecken, in denen er die Streifzüge mit seiner Samojeden-Hündin Shana durch den Englischen Garten dokumentiert. Manche dieser Fotoausbeuten inspirieren ihn in Folge zu einer seiner wöchentlichen „Stadtspaziergänger-Kolumnen“ in der Abendzeitung.

Bemerkenswert – und vor allem sehr berührend – eine Bildergeschichte in der er über Jahre das Leben und Sterben eines Baumes dokumentierte
> „Mein Freund, der Baum“

Doch beschränkt sich Sigi Müllers Interesse keineswegs auf Natur pur. Ebenso finden sich in seinem Portfolio Architektur-Fotos, die durch ungewöhnliche Details oder Perspektiven hervorstechen, in denen er Gebäude-Schrägen fotografisch begradigt, in die bayerischen Himmel (ein anderes großes Thema für ihn) ragen lässt und gerne im Zusammenspiel mit der Natur zeigt.

Im Uhrzeigersinn: Arnulfsteg, das Städtische Hochhaus an der Blumenstraße, Haltestelle der Tram 23/Schwabing-Nord, Diana-Tempel im Hofgarten am frühen Morgen

Seine Leidenschaft für das Durchstöbern der Stadt mit der Kamera brachte ihn 2016 auf eine naheliegende Idee: Er schlug der AZ, für die er schon lange als Pressefotograf arbeitet, vor, die Leserinnen und Leser künftig an seinen fotografischen Streifzügen in Form einer Kolumne teilhaben zu lassen. Das Konzept leuchtete ein, zumal es bereits in der Vergangenheit der Münchner Abendzeitung einen berühmten Spaziergänger gegeben hatte, den unvergessenen Sigi Sommer (* 1914 in München; † 1996 ebenda), Schriftsteller und Journalist.

Denkmal für Autor/Journalist Sigi Sommer:
Die Bronzestatue „Der Spaziergänger“ von Max Wagner am Roseneck in der Münchner Rosenstraße
Stadtspaziergänger Sigi Müller im Dezember 2021 vor einem Plakat, das seine aktuelle Kolumne an allen Zeitungskästen der AZ in München bewirbt. Foto: Gaby dos Santos

Sigi Müller betont in Zusammenhang mit seiner Bewerbung, es wäre ihm dabei niemals in den Sinn gekommen, in die Fußstapfen des legendären Publizisten zu treten, sondern:

Ich habe mir fest vorgenommen, so zu fotografieren,
wie Sigi Sommer geschrieben hat!

Zitat aus einem Interview von Gaby dos Santos mit Sigi Müller; 16.9.2022

Insofern knüpft Sigi Müller erfolgreich an eine AZ-Tradition an, aber mit seiner eigenen Ausdrucksform: der Bildersprache. Woche für Woche fügt er dabei seiner ureigenen Topografie Münchens einen neuen Abschnitt hinzu und lädt uns Münchnerinnen und Münchner auf eine weitere Erkundungstour durch seine Linse ein …

Erläutert werden diese Stadtspaziergänge durch sparsam gehaltene, umgangssprachliche Texte, die in solcher Art nur ein Sigi Müller erfolgreich einzusetzen vermag, ohne je platt zu wirken. Vielmehr versteht er sich darauf, ganz ohne große Worte den Tiefgang seiner Inhalte, Assoziationen und Gedankengänge auszudrücken und einfühlsam auf seine Bilder abzustimmen. Dadurch entsteht ein Bild-/Text-Dialog, der gerade durch seinen schnörkellosen Stil besticht und emotional berührt. Das geht nicht nur mir so, sondern, den Rückmeldungen nach zu urteilen, auch vielen anderen MitbürgerInnen. Einige spazieren sogar die von Sigi Müller beschriebenen Routen nach. :-)#

Beispiele für AZ-Stadtspaziergänger-Kolumnen von Sigi Müller, 2021/2022

(Die Kolumnen erscheinen in der Regel montags oder am ersten Wochentag nach einem Feiertag, wenn dieser auf einen Montag fällt)

Wie es dem Stadtspaziergänger gelingt, mit der Landsberger Straße zu versöhnen ….

… Und das erste Kleinod in der „Allee“
findet sich bereits ganz am Anfang unter den Ausläufern der Donnersbergerbrücke.
Wunderschöne, märchenhafte Bilder an den Wänden. Kunstvoll gesprayte Schätze in unschöner Umgebung.

Ein altes Gründerzeitgebäude spiegelt sich in einer modernen Büroglaswand auf der andern Straßenseite und bietet ein surreales Bild.

Dann die großen Luftfiltersäulen an der Straße, die Schadstoffe wie Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon reduzieren sollen. Wie große Lautsprechertürme stehen sie da – die Musik kommt von der Straße, leiser drehen kann man sie nicht

Aus Sigi Müllers AZ-Kolumne vom 12.9.2022

So, durch Sigis Augen gesehen, lässt sich die Landsberger Straße doch durchaus hinnehmen – oder? Zumal sie sich ja aus München auch nicht mehr wegdenken lässt …

Red Carpet und Konzertfotografie: Mitunter ein Ärgernis, aaaaber …

Red-Carpet Termine nimmt Sigi Müller so gut wie keine mehr wahr:

Man kennt es aus dem Fernsehen: Du stehst als Fotograf da und kratzt dich mit dem linken Fuß an der rechten Wade und kriegst den linken Fuß nicht mehr auf den Boden, weil da schon wieder ein anderer steht. (…)

Ausschnitt eines Interviews von Gaby dos Santos mit Sigi Müller; 01.7.2021

Da sieht sich der Anspruch, qualitativ hochwertiges Bildmaterial zu produzieren einem Vabanque-Spiel ausgesetzt. Ist einem der Zufall heute gnädig genug für ein gutes Bild gestimmt? Und die wachsenden Ansprüche der Künstler-Managements erleichtern die Arbeit an der Konzertbühne oder am Roten Teppich auch nicht gerade … ;-(

Meat Loaf fotografiert von Sigi Müller auf dem Tollwood Festival am 22.06.2005

Dennoch finden sich eine ganze Reihe intensiver Momentaufnahmen berühmter MusikerInnen in Sigi Müllers Foto-Fundus:

Doch mitunter führte der Job Sigi Müller auch hinter die Bühne und zu unvergessenen Begegnungen, wie der mit der 2021 verstorbenen Rocklegende John Miles:

Daraus entstand am 16.12.2021 der Nachruf:
>Music was his first love and it’ll be his last …


Mehr zu Sigi Müller > www.augenblick-fotografie.com


Mehr zu Fotograf Sigi Müller im GdS-Blog >

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Das Titelfoto stammt von Sigi Müller selbst und wurde in seinem Fotostudio aufgenommen


Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

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