W.A. Riegerhofs letzte Münchner Originale – Festgehalten in nostalgischen Momentaufnahmen und reflektiert von Gaby dos Santos

Messerscharfe Momentaufnahmen besonderer Münchnerinnen und Münchner, in schwarzweiß gehalten, mit einer Prise Nostalgie und gaaanz viel Herz betrachtet.“

Typisch Riegerhof eben.“

Gaby dos Santos; FB-Post vom 11.5.2023

So lautete mein spontanes Fazit auf Facebook, nach dem Besuch von Riegerhofs Foto-Ausstellung „Die letzten Münchner Originale“.

W.A. Riegerhofs „letzte Münchner Originale“ werden liebevoll aufgebaut; Veranstaltungsort ist das ÖEINS – Restaurant im Stemmerhof, das nicht nur mit extravaganter Deckenbeleuchtung punktet 😉

Postwendend erhielt ich eine ins Schwarze treffende Replik von Venanz Nobel:

„In jeder Stadt hat jede Generation ihre letzten Originale. Es ist trotzdem schön, wenn sie gewürdigt werden, in der Ausstellung und auch im Leben„.

Venanz Nobel, EKR Eidg. Kommission gegen Rassismus; Post vom 12.5.2023;
Gaby dos Santos am 11.5.2023 mit Stadtschreiber Andriano Riegerhof bei dessen Ausstellung „Die letzten Münchner Originale“; Foto: Danniko Ming

Das empfand ich als wohltuend ausgedrückt, denn mit diesem Statement verscheuchte Venanz Nobel das Gefühl unwiderruflicher Vergänglichkeit, das über dem Thema lastet. Es wird immerfort „letzte Originale“ geben, die unserer Kinder und die unserer Kindeskinder …

Doch werden auch sie sich weiterhin identitätsstiftend an dem individuellen Lebensmittelpunkt von Menschen festmachen?

Drohen die Städte nicht durch zunehmende Globalisierung an Identität zu verlieren und mit ihnen die Menschen, die sie prägen? Werden wir am Ende ortsunabhängigen, globalen „Originalen“ huldigen, mit entsprechend verwässertem Format, bedingt durch die nunmehr weltweite statt lokale Prägung?

Gaby dos Santos

Keine wünschenswerte Vorstellung, zumal mich jetzt schon die Austauschbarkeit weiter Teile der Innenstädte befremdet, mit der stets gleichbleibenden „corporate identity“ der global aufgestellten Kettenläden, auf Kosten des Einzelhandels?

Did Schweiger, alias „Obststandl-Didi“, fotografiert am Ort seines jahrzehntelangen Wirkens von W.A. Riegerhof

Wo bleiben dann Gewerbetreibende, wie der Schweiger Didi, alias „Obststandl-Didi“, der – gefühlt seit Stadtgründung – mit dem Charme des rauhbeinigen Naturburschen und in feinster Münchner Mundart seine Ware im Uni-Viertel feilbietet?

Nein, „Die letzten Münchner Originale“ versteht sich definitiv nicht als heitere Foto-Retrospektive prominenter, skurriler, knorriger Münchnerinnen und Münchner! Sie stimmt mich vielmehr nachdenklich.

Diesen Ernst spiegelt allein schon die Tatsache wider, dass sich die Exponate nicht in der für Riegerhofs Posts typische, intensiv gefilterte Farbigkeit zeigen, sondern als Schwarzweißaufnahmen, der traditionellen Farbgebung von Reduktion und Nostalgie, inklusive Abschiedsstimmung, die ihren Höhepunkt für mich in der „Oiden Münchnerin“ (links) findet.

Zudem enthüllt das Foto-Motiv die Einfühlsamkeit Riegerhofs, die er mit einer scharfen Wahrnehmung kombiniert: Eine alte Dame zieht mühsam ihre Einkäufe zur Trambahn. Oft hat er sie dabei beobachtet und sich gefragt, wohin sie wohl gehen möge; dieser Typus einer Oiden Münchnerin, die aus dem Stadtbild beinahe verschwunden ist ..?

Möglicherweise ganz einfach deshalb, weil viele von uns heutzutage in der priviligierten Lage sind, aktiv zu beeinflussen, ob wir den Herbst des Lebens als alte oder lieber nur als ältere ZeitgenossInnen zu verbringen gedenken? Ein wenig Disziplin und Initiative vorausgesetzt – Keine schlechten Aussichten also, wenn wir akzeptieren, was sich nicht ändern lässt und der griechische Philosoph Heraklit schon um 500 v. Chr. feststellte:

„Panta rhei“ – „Alles fließt“.

Für mich übersetze ich das mit

Liebevoll rückwärts gerichtet in die Zukunft blicken …

Und dazu bot Andrianos Ausstellung mehr als genug Gelegenheiten: Beispielsweise angesichts des Fotos der beiden Rock’n Roller Nick Woodland (links auf Andrianos nachstehendem Foto) und Richard Rigan, die im kollektiven Gedächtnis meiner Generation fest verankert sind: Letzterer, auch bekannt als „Elvis von Schwabing“, war Gründer und Leader der Rock’n‘-Roll-Band Rigan Clan, betrieb von 1978 bis 1986 den Rigan-Club und verkörperte die hautüberzogene Version von Sex & Drugs (Alkohol) and Rock’n Roll. Bei einer meiner frühen jourfixe-Veranstaltungen im Nachtcafé legte er einen unvergesslichen Strip hin, mit einer Sektflasche als Feigenblatt … Sein plötzlicher Tod Anfang 2023 hat uns alle kalt erwischt, weil er fehlt, aber auch, weil er die eigene Sterblichkeit vor Augen führte!

Nick Woodland (links) und Richard Rigan, fotografiert von Andriano in der Schwabinger Rheinpfalz, einem der letzten Refugien unserer Generation aus den jungen, wilden Zeiten, mit Live-Programm bis heute!

Woodland wiederum beherrschte lange die Münchner Musik-Clubs, bis in den späten 1980er Jahren das fatale „Clubsterben“ einsetzte, mit verheerender Wirkung auf die Entwicklung der Münchner Musikszene – zumindest der, wie unsere Generation sie eine zeitlang kannte – denn viele ProtagonistInnen haben – ob nun mehr oder weniger freiwillig – die Chance ergriffen und sich längst neu erfunden, in freier Umsetzung des besagten Panta rhei 😉

Norbert Schmitz, Türsteher-Legende, u.a. im P1 und Veranstalter

Ein gutes Beispiel dafür in Riegerhofs Ausstellung ist Norbert Schmitz, legendärer P1-Türsteher in den wilden 80ern (Zitat AZ)

Damals begründete die Diskothek im Haus der Kunst nicht zuletzt dadurch ihren Ruf, dass ihr die „härteste Tür der Stadt“ nachgesagt wurde. Prompt drängte sich die gesamte Münchner Ausgeh-Klientel, in der Hoffnung zu den Auserwählten zu zählen, denen Einlass in die Heiligen P1-Hallen gewährt wurde. Eine Marketing-Strategie, die sich bewährte (dito im Nachtcafé) und den mit ihr betrauten Zerberussen einen Ruf wie Donnerhall einbrachte.

Längst steht sich Norbert Schmitz nicht mehr die Beine in den Bauch, agiert aber immer noch erfolgreich im Münchner Nachtleben.

Auf dem Foto ist Schmitz bei Riegerhofs Ausstellung in Begleitung eines mir unbekannten Besuchers zu sehen.

Zu den Münchner Besonderheiten gehört auch die Figur des Stenz, dem pars pro toto – charmanten Weiberheld.

Von etwas windiger Eleganz, der jeweils herrschenden Mode immer einen Schritt vorausstolzierend, hat der Stenz die Pflege seines Haupthaares sowie die Pflege seiner Schuhe (von denen er unzählige besitzt) zu kultischen Handlungen entwickelt. Er legt Wert auf Umgangsformen bzw. auf das, was er dafür hält, und schafft es, das oberste Ausstrahlungsziel dabei nicht aus den Augen zu verlieren: immer cool und lässig zu sein“.

Helmut Dietl

Dessen Prototyp, Helmut Dietls unvergesslicher Monaco Franze, weilt leider schon lange nicht mehr unter uns, wurde stattdessen als Gast der Ausstellung durch sein Double Martin Kain vertreten und als Exponat durch die Markt Playboys (obiges Foto); zwei eher melancholisch denn schillernd anmutende ältere Herren, mit viel – zuviel? – Zeit, um, mit überschaubaren Erfolgsaussichten, auf der Pirsch nach was auch immer zu liegen.

Stadt-Zuständige unter sich: Riegerhof mit Freund und Kollege
AZ-Stadtspaziergänger Sigi Müller

Und wie ist es eigentlich um die die bereits in der Stadthymne Solang der alte Peter besungene Münchner Gemütlichkeit bestellt und den damit eng verwobenen Ritualen und Eigenarten unserer Stadt?

In seinen Posts, Interviews sowie ausführlichen Kolumnen in „Hallo München“ u.a., ist Andriano Riegerhof ihnen stets auf den Fersen, denn sie in Wort und Bild wertzuschätzen, bedeutet auch, ihnen ein Hauch von Ewigkeit zu verpassen – insbesondere in Zeiten des Internets – und das ist ihm ein Herzensanliegen.

Sein diesbezügliches Engagement hat ihn inzwischen als Stadtschreiber lokale Prominenz gesichert und seinen Schriften einen Platz in der Monacensia, dem offiziellen literarischen Gedächtnis Münchens!

Wie die meisten von uns leidenschaftlichen Münchnerinnen und Münchner handelt es sich bei Andriano Riegerhof um einen „Wahlmünchner“, den es aus Österreich vor Jahren hierher verschlagen hat, um die Chronik unserer Stadt ein Stück weiterzuschreiben, mit seinen individuellen Leuchtürmen und ProtagonistInnen. Er tut dies, ob nun in Schrift oder Bild, in der ihm persönlich eigenen Art und subjektiven Perspektive – und das ist gut so!


Kürzlich veröffentlicht hat Andriano Riegerhof den Lyrik-Band:
„Das weißblaue Welken meiner Tage


Die Titelcollage stammt von > Gaby dos Santos;

Credits der Fotos und Foto-Ausschnitte:
  • W.A. Riegerhof
  • Danniko Ming (Foto links)
  • Gaby dos Santos

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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