„Zwei Krawatten“: Eine mitreißende Revue am Scheideweg der Weltgeschichte zur 35. Ausgabe von Hans-Christian Hausers Isny Opernfestival

„Zwei Kravatten“ (1929)Marlene Dietrich, damals noch Hollywood-Göttin in spe, wurde in dieser Revue von Regisseur Josef von Sternberg entdeckt, der eine Protagonistin für seinen Film Der Blaue Engel suchte. Der Rest ist Geschichte und adelt das Stück zu einem Glanzlicht der Berliner Kulturchronik.

www.isny-oper.de

Nun wählte es Hans-Christian Hauser für die 35. Ausgabe seines Isny Opernfestivals aus. Nicht nur wegen der glamourösen Historie dieser gekonnten Mischung aus Revue, Musical und Operette ein guter Griff, sondern auch inhaltlich, denn hierbei handelt es sich nur auf ersten Blick um leichte Bühnenkost. Tatsächlich aber vollziehen die ProtagonistInnen den vielzitierten „Tanz auf dem Vulkan“ jener Jahre nach: Ausgelöst durch den Tausch von Zwei Krawatten – in vorliegender Inszenierung zwei Fliegen – bahnt sich, nach vielen Wendungen zwischen Schein, Sein und skurpellosem Streben, ein ungewisses Ende anstelle des herkömmlichen Happy Ends an. Damit deuten sich im Libretto von Georg Kaiser die bevorstehenden zeitgeschichtlichen Umbrüche der 1930er Jahre an, ebenso wie Parallelen zu den gegenwärtigen Zwanziger Jahren. 

„Zwei Kravatten“ um 1929: Sprungbrett für Marlene Dietrich, Musik: Mischa Spolianski (rechts)

Die Musik zu Zwei Krawatten schrieb der russisch-britische Pianist und Komponist Mischa Spoliansky, der anhand seiner Bühnen- und Filmmusiken den Soundtrack des wilden Berlins der 1920er Jahre mitprägte. Für „Zwei Krawatten“ entrollt er einen mitreißend schwungvollen Klangteppich, den er jedoch immer wieder durch leise Passagen kontrastiert. So erzeugt Spoliansky ein Spannungsfeld, das akustisch vorwegnimmt, was historisch kurz bevorsteht und seiner Komposition auch heute – noch oder bereits wieder – bedrückende Aktualität verleiht.  

Eine Szene aus „Zwei Kravatten“ während des Münchner Gastspiels des 35. Isny Opernfestivals

Diese an einem Scheideweg der Weltgeschichte angesiedelte Revue belebte Hans-Christian Hauser mit seinem internationalen Ensemble junger Künstlerinnen und Künstlern neu, getragen von der für ihn typischen, noch nach fünfunddreißig Jahren ungebrochenen Leidenschaft für seine Festival-Programme – die sich spürbar auf die Mitwirkenden und bis in die Zuschauerränge hinein übertrug.

Hans-Christian Hauser in Momentaufnahmen während des Gastpiels in der Münchner Allerheiligenhofkirche

Eine Magie, die ich für mich als den „X-Faktor“ der sogenannten Freien (also nicht städtischen oder staatlichen) Theaterszene definiere: Die im Verhältnis begrenzten Mittel erfordern einiges mehr an Kreativität bei der Umsetzung von Stoffen, die ursprünglich für größere Rahmen konzipiert wurden; in gelungenen Inszenierungen sehr zum Vorteil des Publikums: In vorliegender Produktiion bildete beispielsweise ein pfiffig durchdachtes, zweistöckiges Gerüst mit austauschbarem Bühnenbild und inklusive einer angedeuteten Revue-Treppe die Grundlage für viel Bühnenzauber ….

Das Ensemble des Isny Opernfestivals 2023 im Wilhelma-Theater Stuttgart, während der Proben zur abschließenden Gastspiel-Etappe; Foto: Isny Opernfestival auf Facebook

Entsprechend entspann sich beim Münchner Gastspiel der „Zwei Krawatten“ in der Allerheiligen-Hofkirche ein enger Austausch zwischen den AkteurInnen und einer trotz tropischer Temperaturen zahlreich erschienenen Zuhörerschaft. Sie bewies, dass sich Hans-Christian Hauser in den vergangenen 35 Jahren nicht nur beim Heimspiel im Allgäu, sondern ebenso in der bayerischen Metropole ein Publikum erobert hat.

Momentaufnahme der Uraufführung von „Zwei Krawatten“ in Isny; Foto: Isny Opernfestival/Hans-Christian Hauser

Im Publikum befanden sich zum einen Nachkommen von Komponist Mischa Spoliansky und zum anderen namhafte VertreterInnen der Münchner Kultur-Society, allen voran Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, eine der hochrangigsten VertreterInnen deutscher Kulturpolitik überhaupt. Dass sie sich den Besuch der Veranstaltung trotz aller klimatischen Widrigkeiten nicht hat nehmen lassen, ehrt sie und spricht Bände in Bezug auf Hans-Christian Hausers künstlerisches Renommée!

Ein mehr als verdienter Zuspruch für Hans-Christian Hausers beinahe schon Lebenswerk … wie auch aus nachstehender Pressestimme hervorgeht:

Doch was motiviert jemanden wie Hans-Christian Hauser Jahr für Jahr zu einem derartigen Kraftakt? Wohl jene Berufung zum Schöpferischen, die uns Kunst- und Kulturschaffende -mehr oder weniger – alle antreibt und die schon seit jeher so manchen (kulturpolitischen) Berg versetzt hat – oft mit einer ganzen Reihe positiver zivilisatorischer Nebeneffekte: Im Fall von Hans-Christian Hauser „mal eben“ ein Festival, durch das er das Genre „Oper & Klassik“, abseits der urbanen Hochkulturtempel, in eine ganze Region trägt und dabei jungen KünstlerInnen Chancen bietet …

Und wer weiß, vielleicht befindet sich ja eines Tages ein Sternberg 2.0 unter den Festivalgästen und eine neue Marlene auf jenen Brettern, die Hans-Christian Hauser hoffentlich noch lange die Welt bedeuten mögen ….


LINK zum Pdf
des Isny Opernfestivals 2023



Fotoleiste > https://archiv.isny-oper.de/

Chronik des Isny-Opernfestivals > LINK



Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

Hinterlasse einen Kommentar

Entdecke mehr von Gaby dos Santos

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen