„… damit kein Gras über die Sache wächst…“ – Im Vorfeld seiner alljährlichen Gedenkveranstaltung zur NS-Bücherverbrennung am 10. Mai, begeht Aktionskünstler Wolfram Kastner seinen 77sten Geburtstag – Eine Hommage –
Sein Brandfleck auf dem Königsplatz hat den Aktionskünstler Wolfram Kastner inzwischen weit über München hinaus berühmt gemacht. Jedes Jahr brennt er zum Auftakt seiner Gedenkveranstaltung am 10. Mai einen runden Fleck in den Rasen. Kein Gras soll über der Stelle wachsen, an der 1933 am gleichen Tag in München, als Teil einer deutschlandweiten Aktion, Angehörige der Deutschen Studentenschaft, Professoren und Mitglieder nationalsozialistischer Parteiorgane die Werke der von ihnen verfemten Autoren ins Feuer warfen. Mit diesem schaurigen Höhepunkt der nationalsozialistischen „Aktion wider den undeutschen Geist“, nahm seinerzeit eine historische Talfahrt an Tempo auf, die jetzt unvermittelt droht, zum politischen Déjà Vu zu werden, angesichts des rasant an Einfluss gewinnenden Rechtsextremismus.
… damit kein Gras über die Sache wächst…
lautet seit jeher Wolfram Kastners Motivation, eingefasst in ein Wortspiel. Aus dem droht nun bitterer Ernst zu werden, nach all den Jahren, in denen der Künstler manch einem nur gegen Windmühlen der Vergangenheit zu kämpfen schien! Einer, über den es hieß: Unruhe stiften ist Wolfram Kastners Beruf!
(…) „Wenn es darum ginge, den Künstler zu würdigen, der es seit mehreren Jahrzehnten auf sich nahm, für seinen Kampf gegen das Vergessen von Behörden schikaniert und vor Gericht gestellt zu werden, dann müsste Wolfram Kastner von seinen Mitbürgern verehrt werden.
Leider ist dem nicht so. Wolfram Kastner wurde noch nie in Bayern ausgezeichnet und seine Leistungen werden, von Ausnahmen abgesehen, bestenfalls hin und wieder als gelungene Provokationen anerkannt. Seine Aktionen sind für viele zu krass, zu wenig mit dem Zuckerguss ästheitschen Wolhlgeschmacks umhüllt, um Gefallen zu finden. (…) Kastners Aktionen sind (…) schwer zu ertragen, denn sie sind von einer Deutlichkeit und Direktheit, die ganz bewusst auf jede Form von künstlerischer Camouflage oder Überhöhung verzichtet. (…)“
Schauspielerin Ricci Hohlt; Ihre Laudatio befindet sich am Textende in voller Länge
„Ich bin eine große Bewunderin seines Mutes und seiner Standhaftigkeit!“ , äußert denn auch Schauspielerin Ricci Hohlt in ihrer Laudatio zu Wolfram Kastners 77. Geburtstag. Und fügt hinzu: „Trotz aller Steine, die man ihm in den Weg gelegt hat und immer noch legt und auch trotz aller Schadenersatzansprüche an ihn (…) macht Wolfram weiter.“
Ricci Hohlts Rede eröffnete den Reigen der Beiträge unterschiedlichster Couleur, die am 27. April Wolfram Kastner von Weggefährten in der Kulturbühne Hinterhalt in Geretsried dargebracht wurden, aus Anlass seines 77. Geburtstags.
V.li. Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld liest aus seinem „Sieben Sieben„Flugblatt Martin Stiefel und Friedo Niepmann mit einer originellen Klangperformance Klaus Weber, Dozent und Politiker, mit seiner Kabaretteinlage; alle Fotos: Wolfram Kastner
Sie ließen dabei natürlich auch die zahllosen Kunstaktionen Revue passieren, die der Jubilar im Verbund mit ihnen durchgeführt hat und aus denen sich mosaikartig ein Eindruck seines bisherigen Schaffens ergab.
Klaus Weber – Dozent, Politiker und jetzt auch Kabarettist
Dabei erlebt das juristische Tauziehen um Wolfram Kastner und seine Aktionen wider dem Grabmal von Nazi-General Jodl auf der Fraueninsel gerade eine Metamorphose zum Kabarett-Stück. Klaus Weber trug den Geburtstagsgästen erste Ausschnitte vor. Lustig, solange man sich nicht vergegenwärtigte, das es sich hier um dramatisierte Szenen aus dem ganz echten Leben handelte 😉 Dann aber blieb einem zu Bürgermeister Huber & Co. das Lachen doch ein stückweit im Hals stecken…
Nachdenkliche Töne stimmte Martin Mohr an, der schon lange Wolfram Kastner bei der Gedenkveranstaltung am 10. Mai assistiert. In jedem Jahr wird dabei das Andenken eines Autors oder einer Autorin besonders gewürdigt, deren Werke den nationalsozialistischen Scheiterhaufen zum Opfer fielen. Im letzten Jahr gedachte man der begnadeten Lyrikerin Gertrud Kolmar. Ein Ausschnitt aus einem ihrer Gedichte zierte bei der Feier am 27.4. das markante gelbe T-Shirt Martin Mohrs.
Seine Rede jedoch thematisierte bereits die 2024 präsentierte Autorin Lili Grün, die 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet wurde: Erst 2007 begann die Germanistin Anke Heimberg Nachforschungen zu Leben und Werk der Schriftstellerin anzustellen, deren Texte sie in den folgenden Jahren im Berliner AvivA Verlag herausbrachte. Zum Glück, wie Martin Mohr in seiner Rede betonte, denn sonst wäre es den Nazis gelungen, das Werk einer außergewöhnlichen Literatin auszulöschen, die jedoch nun, am 10.5.2024, im Mittelpunkt der diesjährigen Lesungen stehen wird. Das finde ich besonders schön, weil mich Martin Mohrs Einführung in die Sprache Lili Grüns aus dem Stand weg begeistert hat!
Die Schriftstellerin ist „scharf auf Seele“ – und der Text, den Mohr von ihr vortrug, schildert die Intimität zweier Liebenden in Worten, die mich in ihrer klaren Schlichtheit zutiefst berührten und in denen ich mich vorbehaltlos wiederfand, als sie mit der Feststellung endeten:
Wenn wir rausgehen aus dem Zimmer müssen wir erwachsen sein…
Dass mir dieses seelenvolle Erlebnis möglich war, verdanke ich – und dessen bin ich mir seeehr bewusst – Wolfram Kastners Initiative zu den verbrannten Büchern.
Für Wolfram Kastners langjährigen künstlerischen und politischen Weggefährten, Cartoonist Michael Heininger, schließen sich mit Martin Mohr wiederum Lebenskreise, war doch dessen Vater zeitweilig Heiningers Deutschlehrer und prägend für dessen Vita… Eine „merkenswerte“ Wortschöpfung aus Heiningers Rede: „Eventokratie“ 😉
Am Rande der Veranstaltung schilderte Heininger noch so einige seiner Aktionen im Tandem mit dem Jubilar, aber auch einiges zu Kunst, Kultur und insbesondere Schwabing. Vermutlich ist er, nach dem Tod von Simpl-Wirtin Toni Netzle, DER Zeitzeuge Schwabings, als das Viertel noch für Bohème stand und, dem Bonmot der Franziska zu Reventlow entsprechend, „ein Zustand“ war.
Cartoonist Michael Heininger bei seiner Laudatio auf Wolfram Kastner, am 27.4.2024
Es traf sich gut, dass sich auf Wolfram Kastners Feier endlich einmal die Gelegenheit zu einem längeren Gespräch mit Michael Heininger und seiner Frau, der Goldschmiedin Alexandra von Einem ergab, auch wenn dabei nicht wirklich Heiterkeit aufkam. Die gibt die politische Wetterlage momentan nicht her, zumindest nicht bei tiefer schürfenden Gesprächen, scheint doch jede bis dato noch so verbriefte Überzeugung auf dem Prüfstand zu landen! Aber immerhin gut zu wissen, dass sich auch in der Ära grassierender Eventokratien und anderer Ärgernisse noch derart intensive Gespräche führen lassen. Fortsetzung folgt hoffentlich bald mal!
Der Schriftsteller und Journalist Claus-Peter Lieckfeld schuf eigens für Wolfram Kastners 77. Geburtstag das für einen Kunst-Aktivisten obligate Medium:
„Flugblatt aus gegebenem Anlass: Sieben Sieben“
Dein Zorn ist jung und wird nicht wirklich älter. Er dreht sich nicht hohl. Vielmehr: Er dreht Sichtachsen, wird dabei nicht kälter – obwohl das physikalisch fast nicht geht.
Sollt‘ man Dir etwa Blumen schenken? Dann keine Nelken. Besser Roten Mohn. Ein wenig Rausch als Vorspiel für das Denken. Die Lust am Tun, die findet sich dann schon.
Deckmäntel sind Dir ausgesprochen verhasst, zumal dann, wenn sie Leid verhüll’n. Denkmäler magst Du nur gebrochen. Strafzettel? Etwas zum Zerknüll’n!
Ich weiß, Du glaubst nicht an den Einen, nicht an ein weltentrücktes Recht. Verstanden, gut… doch will mir scheinen:
„Bitterernst sind wir nie“ resümierte Wolfram Kastner irgendwann am Abend, und das trifft auf seine Aktionskunst auch zu, durch die er regelmäßig Realsatirisches aus unserer bajuwarischen Gesellschaft herauskitzelt. Das bestätigt auch Schriftstellerin Gunna Wendt, die ich vor einigen Jahren mit Kastner bekannt machte, und die ihn seither regelmäßig auf dem Königsplatz unterstützt.
Dr. Franz Klug, Schriftstellerin Gunna Wendt und Aktionskünstler Wolfram Kastner
In der Kulturbühne Hinterhalt erschien die Schriftstellerin in Begleitung von Dr. Franz Klug, bis vor kurzem Geschäftsführer der traditionsreichen Buchhandlung Lentner am Marienplatz und aktuell engagiert für Die Grünen in meinem schönen Haidhausen. Gebürtig stammt er jedoch aus Österreich, daher lag eine Torte mit dem Gütesiegel „Sacher“, wie die Beiden sie dem Geburtstagskind in Buchform kredenzten, nun wirklich nahe!
Schriftstellerin Gunna Wendtbei der Feierzum 77. Geburtstag Wolfram Kastners
„Was ich an Wolfram Kastner besonders schätze, ist diese unvergleichliche Mischung aus Widerstandsgeist und Humor.
Er sieht sich nicht als Provokateur, sondern als jemand, der immer wieder provoziert wird – von der Geschichtsvergessenheit, Bequemlichkeit, Ignoranz und vielem mehr. Darauf zu reagieren, ist für ihn ein Muss. Kompromisslos, furchtlos, aber niemals humorlos„
Stilvoll stören will gekonnt sein und erfordert eine gewisse wissenschaftliche Herangehensweise 😉 , die Wolfram Kastner seit knapp dreißig Jahren durch sein IKuFo-Institut sicherstellt.
Das 1995 gegründete Institut für Kunst und Forschung ermöglicht interdisziplinäre Kunst und Forschung, die insbesondere Wahrnehmungsgewohnheiten, Sehstörungen und Methoden ästhetischer Intervention untersuchen und realisieren.
Zum 100sten Todestag Kurt Eisners organisierte Wolfram Kastner 2019 eine Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus in München. Schauspielerin Ricci Hohlt erinnert in ihrer Laudatio:
500 Menschen fanden Platz und weitere 150 warteten noch draußen und wollten auch noch rein; anwesend waren Oberbürgermeister Reiter um eine Rede zu halten, ich, um für das Radio einen Bericht zu machen, sowie der Kabarettist Max Uthoff, mit einer wunderbaren Rede zu dem Thema „Was bleibt zu tun?“ Am Ende lobte er Wolframs unermüdliche Beharrlichkeit, mit der er manchmal anderen auf die Nerven gehen kann, wenn er was will.
Geburtstagskind Wolfram Kastner am 27.4.2024; Foto: Gunna Wendt
“ ‚Der schon wieder,‘ heißt es dann“, sagte Max Uthoff, „und für dieses ‚der schon wieder‘, liebe ich ihn.“
Die Spur der verbrannten Bücher von 1933 nimmt auch in diesem Jahr der Münchner Künstler & Aktivist Wolfram P. Kastner wieder auf, mit seiner traditionellen Brandfleck-Performance, durchgeführt gemeinsam mit Künstler Martin Mohr, sowie der Unterstützung vieler MünchnerInnen, die aus den Werken jener AutorInnen lesen werden, die in einer deutschlandweiten Aktion, am 10. Mai 1933 von den Nazis und deren Sympathisanten…