Vom NS-Schandfleck zum partizipativen Denkmal für Sinti & Roma in München: Entschlossenes Ringen um die Quadratur des Kreises seitens Kulturreferat und Community

Die Verfolgung der Sinti und Roma während des Nationalsozialismus gehört zu den bislang wenig bekannten Schandflecken der Zeitgeschichte, ebenso wie die traurige Vorreiterrolle Münchens dabei. Dem soll nunmehr ein ganz besonderes Mahnmal gewidmet werden, das nicht nur an die Münchner Sinti & Roma erinnert, die dem Holocaust zum Opfer fielen, sondern auch deren Rolle heute, als deutsche Minderheit und aktiver Teil unserer Stadtgesellschaft widerspiegelt. Daher ist die Community seitens dem Kulturreferat München eingeladen, sich selbst in den Kreativ-Prozess zur Fertigstellung des Kunstwerks einzubringen!

Soweit ich das beurteilen kann, ein einmaliger kooperativer Vorgang in der Entstehungsgeschichte eines Denkmals!

Dr. Sabine Schalm und Projektleiterin Tunay Önder, Abt. 4 im Kulturreferat, im Gespräch mit Künstlerin Ladislava Gaziova aus Prag, deren Denkmal-Entwurf den Zuschlag der Jury erhalten hat

Einem dementsprechenden Entwurf der Roma-stämmigen Künstlerin Ladislava Gaziova aus Prag erteilte ein städtische Jury vor einiger Zeit den Zuschlag. Entstehen soll es in der Altstadt, in prominenter Lage, am Frauenplatz. Dieser liegt nur einen Steinwurf entfernt vom Polizeipräsidium in der Ettstraße, dem früheren Sitz der berüchtigten „Zigeunerzentrale“ und Internierungsort der Münchner Sinti und Roma vor deren Deportation nach Auschwitz am 13.3.1943. Nach dem Krieg wurde deren behördliche Erfassung unter dem Begriff „Landfahrerzentrale“ von dort aus nahtlos fortgeführt.

Den Kern von Gaziovas Entwurf bildet ein 6 x 6 m großer „Schandfleck“ am Boden, der sich aus Steinelementen zusammensetzt. Deren dreieckige Form ist den KZ-Winkeln nachempfunden, mit denen die einzelnen Häftlingsgruppen markiert wurden. In einige dieser Steine sollen mahnende Slogans, nach Vorgaben aus der Community eingraviert werden, ausgewählt im partizipativen Verfahren.

Dr. Daniel Bürkner, Ressortleiter „Kunst im öffentlichen Raum“ im Kulturreferat, präsentiert das Konzept der Künstlerin Ladislava Gaziova für ihr Denkmal, als historischer „Schandfleck“ in der Münchner Altstadt.

Foto u.re: Detailaufnahme zweier den KZ-Wimpeln nachempfundener Steine, mit Beispielen möglicher Gravur-Texte, die partizipativ mit der Münchner Sinti- und Roma-Community erarbeitet werden sollen; links außen im Bild Dr. Sabine Schalm, Leiterin der Abteilung „Stadtgeschichte“ im Kulturreferat

Dr. Daniel Bürkner erläutert die Möglichkeiten des mobilen Info-Busses als Bestandteil des Denkmals;
rechts im Bild Ladislava Gaziova

Eine mobile Info-Station soll das Bodendenkmal ergänzen, einen kommunikativen Ort schaffen sowie Dokumentationsmaterial zur Kultur, Chronik und zum Holocaust der Sinti & Roma bereitstellen.

Mit einem solchen, zur Bibliothek ausgestalteten Vehikel hat Ladislava Gaziova bereits in ihrer Heimat positive Erfahrungen gesammelt, insbesondere in abgelegeneren ländlichen Regionen.

Soweit, so gut, doch gilt es nun, unendlich viel „unter einen Hut zu bekommen“: Ganz profane aber unumgängliche Bau- und Sicherheitsvorgaben ebenso, wie die Kultur und leidvolle Geschichte der Sinti und Roma. Letztere führte bereits bei einem ersten Treffen im März zur vehementen Ablehnung seitens der Community einer als Bodendenkmal konzipierten Gedenkstätte, dito beim aktuellen Treffen diese Woche. Die Vorbehalte hören sich ähnlich an, wie die der Gegner von Stolpersteinen.

„Ein Denkmal am Boden würde sich nicht richtig für unsere Leute anfühlen! (…)“
wandte Ramona Sendlinger ein.

Die Sintezza und Bürgerrechtlerin, die keine relevante Veranstaltung in Zusammenhang mit ihrer Community verpasst, hatte es sich auch diesmal nicht nehmen zu lassen, zumindest via Online-Schaltung (Foto oben rechts) am Meeting im Kulturreferat teilzunehmen.

Da half auch diesmal wenig, dass die vom Kulturreferat anwesenden RessortleiterInnen Dr. Sabine Schalm (Leiterin der Abteilung 4, Stadtgeschichte) und Dr. Daniel Bürkner (Verantwortlicher für Kunst im öffentlichen Raum/als Teil-Ressort der Abteilung 1) darauf hinwiesen, dass keinerlei persönliche Daten in die Bodensteine gemeißelt würden.

Das durch Angehörige ALLER Münchner Sinti – und Roma-Familie erlittene Holocaust-Trauma sitzt tief, und dementsprechend emotional gestaltet sich die Auseinandersetzung mit jeglicher Form von Erinnerungskultur.

Leidenschaftliches Diskutieren seitens der GesprächsteilnehmerInnen aus der Münchner Community, am 27.6.2024 im Kulturreferat:
  • Oberes Foto: Gavin Franz mit den Töchtern Fabienne und Sophia
  • Unteres Foto li: Benjamin Adler, Mitarbeiter von Madhouse, dem Familienberatungs- und Kulturzentrum für Sinti und Roma in München
  • Unteres Foto re: Sintezza Rosita Broschinski und neben ihr
    Alexander Diepold, Geschäftsführer von Madhouse

Der Sinto Alexander Diepold, Leiter von Madhouse, dem Familien- und Kulturzentrum für Sinti und Roma in München fasst zusammen:

Eine intensive Auseinandersetzung im zweiten Treffen, zu dem das Kulturreferat Sinti und Roma und die Künstlerin eingeladen hatte, fand gestern Abend statt. Dr. Sabine Schalm erläuterte die Entstehungsgeschichte des geplanten Denkmals für Sinti und Roma in München.


Es wurde kontrovers diskutiert. Endgültige Ergebnisse dieser konstruktiven Diskussion werden allerdings noch viel Zeit beanspruchen.

Einerseits soll sowohl der Gedanke eines zentral liegenden, würdigen Denkmals verwirklicht und ein Bezug zur ehemaligen, lokal angesiedelten „Landfahrerzentrale„(Erfassungsbehörde von Sinti und Roma nach nationalsozialistischen Motiven) hergestellt werden, was wiederum eine Menge Herausforderungen wegen bestehender Vorschriften bedeutet.

Andererseits wird die Idee eines Bodendenkmals von den anwesenden Sinti kritisch bewertet, weil jeder darauf treten kann und aus kultureller wie sittlicher Sicht Bedenken bestehen:

Im Gegensatz zum Bodendenkmal des internationalen Mahnmals für Sinti und Roma in Berlin wird das geplante Denkmal in München nicht als geschlossener Erinnerungsort wahrgenommen, den man bewusst besucht.

Ansichten des Holocaust Mahnmals für Sinti und Roma in Berlin in Collagenform; im Vordergrund der Geiger und Abgeordnete im Europäischen Parlament, Romeo Franz; Quelle: Nächster Halt Auschwitz!

Vielmehr wird der Spaziergänger zufällig damit konfrontiert.

Auch das Profil der Informationsvermittlung zeigt noch großen Diskussionsbedarf. Diesbezüglich angedacht ist zusätzlich ein Wohnwagen, der eine Plattform für Austausch und Auseinandersetzung bieten und den Transfer von Geschichte bis in die heutige Gegenwart ermöglichen soll.

Die künstlerische Idee wird von allen gut geheißen, die Künstlerin ausdrücklich von allen darum gebeten, sich weiter mit den Sinti und Roma intensiv auseinanderzusetzen.

Künstlerin Ladislava Gaziova aus Prag, deren Denkmal-Entwurf den Zuschlag der Jury erhalten hat

Unter anderem soll Raum geschaffen werden, die Lebenshintergründe und Geschichten der Sinti und Roma anzuhören und sich für die Ausgestaltung des Denkmals Zeit zu nehmen.

Ein Annäherungsprozess hat begonnen. Es bleibt spannend, wie es weitergeht.

Ende der Wortmeldung von Alexander Diepold,
vom 28.7.2024

Mein Fazit:

Gaby dos Santos dokumentierte die Sitzung am 27.6.24 im Kulturreferat München

Während ich den Sitzungen beiwohne (die am 27.6. war bereits meine Zweite) erscheint es mir manchmal, als würde bezüglich der Gestaltung dieses Denkmals gerade nach der Quadratur des Kreises gesucht…

Doch genau dieses stete, gemeinschaftliche Ringen nach Lösungen stellt für mich bereits eine zukunftsweisende Errungenschaft dar, Ausdruck eines respektvollen, demokratischen Miteinanders, anstelle der Ausgrenzung und der Vorurteile, mit denen früher den Minderheiten der Sinti und Roma begegnet wurde.

Immer wieder betonten Frau Dr. Schalm und Herr Dr. Bürkner, dass auf gar keinen Fall über den Kopf der betroffenen Community hinweg Entscheidungen in Bezug auf deren Denkmal getroffen würden!

V. li: Projektleiterin Tunday Önder, Dr. Sabine Schalm und Dr. Daniel Bürkner – Kulturreferat München

Als Bloggerin, die seit fast acht Jahren aus der (Münchner) Community in die Mehrheitsgesellschaft hinein berichtet und zudem an einer Langzeitproduktion zum Holocaust an Sinti und Roma arbeitet, reibe ich mir, angesichts solcherart von Austausch auf Augenhöhe, selbige Augen freudig erstaunt, denn Gesprächsrunden in dieser Form wären noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen! Nun bleibt zu hoffen, dass auch das nächste Kriterium demokratischer Entscheidungsfindung erfüllt werden kann: Eine für alle Seiten befriedigende Kompromisslösung!

🙏

Denn die Alternative würde bedeuten, so Frau Dr. Schalms Statement, das Projekt für gescheitert zu erklären. Das wäre mit Sicherheit für niemanden eine wünschenswerte Option!


Mehr über die Geschichte und Kultur der Sinti & Roma und aus ihrem heutigen Leben findet sich

auf der neuen Homepage von >

Madhouse KULTUR der Sinti & Roma


Titel: Collage von Gaby dos Santos mit Versatz-Elementen aus der Sinti & Roma-Trilogie„, kombiniert mit Grafik-Elementen aus der Denkmal-Präsentation des Kulturreferats München sowie dem GdS-Logo: die Theatermaske mit Perlenträne

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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