Jenseits von „Gypsy Music“: Der Jazzgitarrist Lancy Falta, sein musikalisches Selbstverständnis und das zweischneidige Erbe Django Reinhardts, dargestellt in Texten, Zitaten, Bildern und Video-Clips

Sie kann sich wirklich sehen lassen, die Konzert-Ankündigung Lancy Faltas auf der Homepage seiner Heimatstadt Memmingen:

Lancy Falta, der mütterlicherseits aus dem Reinhardt Clan stammt, erlernte von seinem Vater Bobby Falta [red. Anmerkung: vielfach preisgekrönter Sologitarrist und Mitbegründer des legendären Schnuckenack Reinhardt Quintetts] als Junge das Gitarrenspiel und zählt heute zur Elite der Jazz-MusikerInnen in Europa.

Er ist nicht nur einer der besten Gitarristen, sondern auch ein hervorragender Komponist und Musiker, das beweist er nachdrücklich auf seiner neuesten CD-Veröffentlichung „Lancy Lot“. 2022 avancierte diese Produktion unter die Jazz-TOP 20 in Deutschland; Eigenkompositionen daraus spielt er mit seiner neuen Band „Lancy Falta Sindicartel“ live. (…)“

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Lancy Falta entstammt der Volksgruppe der Sinti, die herausragende MusikerInnen hervor gebracht hat – und nach wie vor bringt, ein auch in der Mehrheitsgesellschaft anerkannter Fakt, wobei oft der akkurate Blick darauf versäumt wird, was für einem musikalischen Genre genau die jeweiligen MusikerInnen zuzuordnen sind.

Foto: Lancy Falta mit dem Manouche und Musiker-Kollegen Harri Stojka, der einer in Österreich ansässigen Künstlerdynastie entstammt

Stattdessen öffnet sich allzu oft und stereotyp die Schublade der „Gypsy-Music„! Doch genau in diese möchte der Jazzgitarrist Lancy Falta NICHT gesteckt werden! Aus dem einfachen Grund, dass seine Musik konzeptionell anderweitig ausgerichtet ist!

Dass die ethnische Abstammung einen nicht automatisch für eine bestimmte künstlerische Richtung prädestiniert, sollte eigentlich auch einleuchten! Eigentlich. Im Fall von Sinti MusikerInnen tut es das jedoch vielfach nicht. Zu omnipräsent sind Begriffe wie „Gypsy Swing“ oder „Sinti Swing“ und zu beliebt ist das Genre selbst beim breiten Publikum.

Es kam in den 1960er Jahren auf, weil diese Musik eng mit Sinti-Musikern im Umkreis des Violinisten Schnuckenack Reinhardt und des Gitarristen Häns’che Weiss verbunden war und sich stilistisch am Vorbild des Manouche-Musikers Django Reinhardt mit seiner „Hot Club“-Besetzung orientierte (…)“

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Doch obgleich Django Reinhardts musikalischer Aufstieg von der großen Ära des Swing geprägt war – und in der allgemeinen Wahrnehmung auch dort geblieben ist, war Django Reinhardt, wie Lancy Falta im Interview (Foto links) wiederholt betonte, zeitlebens ein progressiver Musiker, immer auf der Suche nach neuen Impulsen.

Diesen Umstand thematisiert auch nachstehender Bericht:

[Bereits] „Ab 1947 spielte Django Reinhardt hauptsächlich elektrisch verstärkte Gitarre, wobei die Melodielinien z. T. deutlich bop-orientierter wurden. (…)“

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Um seine Ausführungen zu untermauern, ließ Lancy Falta mir den Youtube-Link einer späteren Aufnahme (1951) Django Reinhardts zukommen, die in der Tat wenig Analogien zum herkömmlichen Gypsy-Swing aufweist.

„Das ist der Django den ich liebe, doch den die Leute leider oft reduzieren auf banale Unterhaltungsmusik“. (…)

kommentiert Lancy Falta 2024 obiges Video in einem Post an Gaby dos Santos

In der Tat handelt es sich beim traditionellen Swing, auf dessen Popularität in den 1930er und 40er Jahren Reinhardts Ruhm fußt, um eine ausgesprochen eingängige Musikrichtung. Das trifft auch auf den später daraus entstandenen Gypsy-Jazz zu, der die traditionelle Swing-Welle Django Reinhardts reitet und nach wie vor so erfolgreich ist, dass damit oft in Bausch und Bogen alle Sinti- und Roma MusikerInnen assoziiert werden! Daher spricht aus Lancys obigem, kategorischem Urteil auch die – nachvollziehbare – Überdrüssigkeit, sich einzig auf Grund seiner Herkunft andauernd in einer musikalischen Ecke angesiedelt zu sehen, die die seine gar nicht ist!

Weiß genau, wohin er musikalisch will und wohin nicht!
Lancy Falta auf einem aktuellen Foto von Rainer Schmid, auf seiner Homepage lancyfalta.de



Und apropos „Schubladen-Denken“: Auch der große Jazzer Miles-Davis verwehrte sich gegen die reflexartige und einseitige Einordnung von afro-amerikanischen Musikern als Blues-Interpreten. Davis selbst zählte ab den 1970er Jahren vielmehr zu den Pionieren der Fusion-(Musik), in der Jazz mit Rock verschmilzt, und die den Boden für die vielen, späteren „Cross-Over“ Musik-Projekte bereitete.

Auslöser für die Anerkennung dieser musikalischen Strömung durch die Musikindustrie waren die Miles-Davis-Platten (…), an denen Joe Zawinul wesentlichen Anteil hatte. (…)“

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Hier wiederum schließen sich Kreise:

„Kein geringerer als die Jazz-Legende Joe Zawinul wollte Lancy Falta in seine Band aufnehmen, dieser verstarb leider 2007 – bevor es zu diesem Schritt kam. (…)“

Zitat „jazzpoint-wangen.de„, anlässlich eines Auftritts von Lansy Falta mit seinem Sinticartel
V. li: Der junge Lancy Falta, Vater Bobby Falta, Jazzlegende Joe Zawinul sowie ein Bruder Lansys
Eine musikalische Hommage Lancy Faltas an Joe Zawinul

„Ich sehe mich als Beobachter und Reisender, sowohl im musikalischen, wie auch im kulturellen Sinn. (…)“,

…erläuterte mir Lancy in unserem ersten Chat und schickte mir zum besseren Verständnis gleich einen YouTube Link hinterher (s. Video rechts):

„Das ist ein alter Jazz-Standard namens ‚Sweet Georgia Brown‘, den ich mit Elementen aus der indischen Musiktradition verbunden habe.“

Lancy Faltas Offenheit für unterschiedlichste stilistische Einflüsse aus aller Welt spiegelt sich auch in den Stücken auf seiner aktuellen CD wieder – die einen originellen Wortspiel-Titel trägt, „Lancy Lot“ – sowie in der Internationalität, respektive der interkulturellen Prägung der mitwirkenden Musiker.

Claus Volke schreibt in seiner Rezension:

„Seine Berufsstationen sind beeindruckend, spielte er [Lancy Falta] doch u.a. mit Joe Pass, Chaka Khan oder Joe Zawinul.

Lancy mit George Benson und Al Jarreau; Fotos: http://www.lancyfalta.de

Auch seine Mitspieler sind sehr bekannte Musikergrößen mit ebensolchen Erfahrungen. Da wäre Koono an den Keyboards, der u.a. mit Dennis Chambers, Peter Erskine und Dave Grusin spielte. Am Bass dabei ist der Spanier Carles Benavent, der u.a. mit Miles Davis, Quincy Jones, Pat Metheny und Randy Brecker spielte. Und schließlich am Schlagzeug der 1944 in Peru geborene Alex Acuna, der u.a. Elvis Presley, Diana Ross, Weather Report, Carlos Santana und U2 in seinem Werdegang verzeichnen kann.

Nun, wenn man diese Garde von Musikern sieht, verwundert es nicht, dass hier ein wirklich tolles Album vorliegt. (…)“

Claus Volkewww.hoeren-und-fuehlen.de/Mein Hörtipp: Lancy Falta „Lancy Lot“ > MEHR

Die Stücke auf dieser CD stammen alle aus Lancys Feder, mit Ausnahme von Harry Mancinis Klassiker „The Days of Wine and Roses“ sowie ein Stück von dem mit ihm verwandten Ausnahmegitaristen Kosta Lukács (1943-1993), den ich selbst noch zu Zeiten von Jenny’s Place kennenlernte.

Bildausschnitt des Covers von Lancy Lot;
produziert wurde sowohl in Deutschland als auch in Brooklyn/New York


Zwar lehnt es Lancy vehement ab, sich in die Gipsy-Swing Ecke stellen zu lassen, dennoch empfindet er, wie wohl die meisten Sinti und Roma, eine tiefe Verbundenheit zu seiner Kultur; nur konsequent also, dass er auch Song-Texte in der Sprache seiner Volksgruppe verfasst: in Romanes.

Für mich ein Gänsehaut-Beispiel ist dieser Song auf dem Video rechts =>

Das Lied stammt aus einer CD-Produktion der Sinteza, Menschenrechtlerin und Jazzsängerin Dotschy Reinhardt.

Für diesen Titel hat Lancy Falta sowohl die Musik als auch den Text in Romanes geschrieben.

Mit seiner progressiven musikalischen Ausrichtung steht Lancy keineswegs alleine da. Auch sein Vater Bobby Falta vertritt sie. Zwar zählt er zu den Mitbegründern des legendären Schnuckenack Reinhardt-Quintetts, das in den 1960er Jahren den Grundstein für das Genre „Gypsy Jazz“ in Deutschland legte, doch verließ er die Band bereits 1975, weil er das Repertoire als zu traditionell festgefahren erachtete, wie er Alexander Diepold und mir bei einem Treffen darlegte, siehe nachstehenden Facebook-Post:


Fazit:

Der intensive Austausch der letzten Wochen mit Lancy Falta hat mich sensibilisiert, was die Darstellung von Sinti-MusikerInnen anbelangt!

Entsprechend hinterfragt gehört wohl auch die bisherige Headline unseres djangoO-Festivals (s. Logo rechts)

Korrekt müsste es wohl eher sowas heißen, wie:

European festival of gypsy musicians

Das würde dann ebenso den VertreterInnen traditioneller Musikformen der Sinti und Roma gerecht werden, wie all jenen Sinti und Roma, die es vorziehen, sich wie Lancy internationalen zeitgenössischen Musikströmungen zu widmen.

Das ist ein kleiner. aber sehr feiner Unterschied!

Lancy Falta im Interview mit Gaby dos Santos, 10.12,24, Café Haidhausen


Zur Homepage von Lancy Falta > www.lancyfalta.de



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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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