Gaby dos Santos über ihre Rolle als „Salonière“ am Küchentisch
In ihrer Eigenschaft als zivilisatorische Weiterentwicklung steinzeitlicher Lagerfeuer entfalten Küchen mitunter eine ganz eigene Magie. Dabei mag sich die kulinarische Nachfrage zwischenzeitlich von der Mammutkeule zu Sushi und von Quellwasser zu Prosecco verschoben haben, unverändert geblieben ist das Bedürfnis, die Aufnahme von Speisen und Getränken möglichst mit einer sozialen Komponente zu verbinden: Nach wie vor leistet man einander beim Essen und Trinken gerne Gesellschaft.
Einen kongenialen, weil entspannten Rahmen dazu bieten Küchen…, als zwanglose Backstage-Bereiche gesellschaftlichen Lebens, wo eher rustikale Augenhöhe als Kotau herrscht. Nicht zufällig entfalten sich daher viele unserer ergiebigsten Gespräche an Küchentischen, während der sich kontinuierlich füllende Magen unseren Geist mit Energien versorgt und der flüssige aus dem Glas rhetorische Impulse beisteuert. Von der Euphorie, die sich im derart gepamperten Belohnungssystem unseres Gehirns ausbreitet, mal ganz zu schweigen 😉


Li: Seit dem Auftakt des SalonCuisines musste ich aus Platzgründen die Oberfläche meines Kühlschranks zur Hausbar umfunktionieren.
Re: Der New Yorker Jazztrompeter Omar Kabir als Überraschungsgast bei einem SalonCuisine im Juli 2024, dahinter Petra Windisch de Lates, Vorsitzende der Hilfsorganisation Deutsche Lebensbrücke e.V. sowie, u.a. Kuratorin der Reihe Jazz & Beyond im Münchner Künstlerhaus, daneben Jazzsänger Thomas de Lates
Nachdem sich meine „italienische Jugend“ mehr oder weniger an Küchentischen abgespielt hat, zumindest in den kühleren Jahreszeiten oder spätabends, bei improvisierten Spaghettate, beschloss ich ein Revival dieser Art geselliger Zusammenkünfte bei mir daheim. Nach einigen Renovierungsmaßnahmen, insbesondere einer Extra-Palette erfrischend grüner Farbe, funktionierte ich daher im Juni 2024 kurzerhand meine Küche zum Pendant eines Partykellers um, allerdings einem in luftiger Höhe.


LI: SalonCuisine im vorderen Bereich, mit einem definitiv territorial veranlagten Ficus namens „Moses„
RE: SalonCuisine, hinterer Bereich, Küchenzeile
Entsprechend erwartet meine Gäste kein lässiger Gang in ein Souterrain, sondern ein eigenfüßig zu bewältigender Aufstieg über vier Stockwerke! Von denen zumindest die Wände der unteren beiden definitiv schon bessere Zeiten bekleidet haben 😉
Einmal oben angekommen, belohnt jedoch von meiner Mansarde aus ein wunderschöner Ausblick über die Dächer Haidhausens. Bei schönem Wetter bieten insbesondere die Sonnenuntergänge spektakuläre Momentaufnahmen.
Im Winter wiederum überdeckt oft reinste Puderzucker-Optik auf den Dächern so manches Grau in mir und um mich…

Wahrend im vorderen Bereich der Küche ein territorial veranlagter Ficus namens „Moses“ zunehmend Platz für sich beansprucht, dominiert im Hintergrund des SalonCuisine ein überdimensionales Graffito. Mit diesem Auftragswerk hat Sprayer Toni di Mauro 2001, in einem Live-Act beim jourfixe im Nachtcafé (s.u.Foto li.), künstlerisch eine Brücke zwischen der Gegenwart und der legendären Münchner Bohème um 1900 geschlagen.


Symbolträchtig findet sich auf dem Graffito in moderner Umsetzung das historische Zitat der Münchner Bohème-Ikone Franziska zu Reventlow
„Schwabing ist ein Zustand!„
Franziska zu Reventlow (1871 – 1918)
Zum Auftakt des SalonCuisine im Juni 2024 habe ich unter dem berühmten Zitat in Grafitti-Version unserer adeligen „Vor-Vor- Kollegin“ Franziska zu Reventlow eine bunte Schar kunst- und kulturschaffender Freundinnen versammelt.

Nicht fehlen in obiger Auftakt-Runde durfte die Schriftstellerin Gunna Wendt (auf dem Gruppenfoto oben rechts), nicht nur, weil sie Trägerin des Schwabinger Kulturpreises 2017 ist, sondern auch, weil sie Franziska zu Reventlow eine Biografie gewidmet hat, die wir 2018 gemeinsam in ein Historical umgemünzt und aufgeführt haben.

Das Einzelfoto zeigt eine lachende Tania Rupel Tera, Malerin, Lyrikerin sowie Autorin aus Bulgarien, die dennoch bildgewaltig auf Deutsch textet!
Leider nicht fotografisch erfasst wurde die letzte Künstlerin im Bunde: Die Cellistin Anna Rehker, die 2024 erstmals zu den Nibelungen Festspielen nach Worms engagiert wurde, wie sie uns bei der Gelegenheit wissen ließ, denn der SalonCuisine erfüllt nebenbei auch die Rolle einer Infobörse der Münchner Kunst- und Kulturszene!
Mitunter gestaltet sich mein SalonCuisine aber auch recht intim: So holte ich mir mit Jim und Jenny (unteres Foto links) die personifizierte Liebe an den Küchentisch. Alleine schon „Jim & Jenny“ spricht sich so stimmig aus, dass es sich glatt um den Namen eines Künstlerduos handeln könnte. Kunstschaffende im eigentlichen Sinne ist jedoch nur Jenny Evans, die allseits geschätzte Grande Dame der Münchner Jazzszene, die zudem als Schauspielerin u.a. das – in meinen damaligen Augen – außergewöhnliche Privileg genossen hat, in einem Tatort Kommissar Schimanski zu küssen!


Da ich viele Musikerinnen und Musiker in meinem Freundeskreis habe, flackert das steinzeitliche Lagerfeuerfeeling auch klanglich erfreulich oft auf.


Links: Sigi Müller ist eigentlich als Fotograf und AZ-Kolumnist „Der Stadtspaziergänger“ bekannt, aber auch seine Entertainment-Qualitäten sind nicht zu unterschätzen…
Rechts: Liedermacherin Michaila Kühnemann präsentiert ein nachdenkliches Chanson aus eigener Feder
Nicht selten mündet das Netzwerken in ausgiebiges Jammen und teilweise sehr inbrünstigem Mitsingen von Evergreens der Kategorie „Weißt Du noch…?“, siehe die nachfolgenden Fotos, mit Petra Windisch de Lates (links) und Gaby dos Santos 😉


You’re welcome as you are…
…mit diesen Worten lädt ein Text auf der Fußmatte meiner Nachbarin im 3. Stock zum Eintreten ein. Genauso halte ich es auch. Beweis gefällig?
Medienlady Bettina Wiechmann erschien zum SalonCuisine in einem pinken Outfit, das Cindy von Marzahn zur Ehre gereicht hätte, doch weder störte noch wunderte mich das, im Gegenteil freute ich mich über einen pinken Farbtupfer in meiner Küchenrunde. Lediglich fragte ich mich, warum sie wohl zu einer so blonden und so offensichtlich billigen Kunsthaar-Perücke gegriffen hatte? Des Rätsels Lösung? Dieser SalonCuisine fand am Faschingsdienstag statt und somit waren sie und mein alter Kumpel, Steinmetz Florian Scheungraber (Führungen Alter Südlicher Friedhof) von einer Kostümparty ausgegangen…

Mein SalonCuisine soll für solcherart Offenheit stehen, jenseits von Vorurteilen und Konventionen, für die ich bereits von 1999 bis 2020, mit meiner Kulturplattform jourfixe-muenchen für Künstler- Kultur & Medienschaffende, Paradiesvögel & Co. plädiert habe. Unter anderem durch „herbe Mischungen“, beispielsweise im Münchner Promiclub Nachtcafé, wo ich Graffiti-Künstler und Hiphopper mit der Schwabinger Gisela oder ein inklusives Tanztheater-Ensemble mit Regisseurin Caroline Link zusammengewürfelt habe.


Das Kernanliegen bei allen meinen Veranstaltungen lautet seit jeher:
Räume für interkulturelle und interkonfessionelle Begegnungen zu schaffen!
Auf diese Weise möchte ich kreative Reibung auf- und Vorurteile abzubauen!

Inzwischen scheint mir solcherart Liberalität von zunehmender Dringlichkeit, daher beschlossen Susanne von Lieven-Jell und ich, mit dem SalonCuisine vom 15. April 2025 ein in diesem Sinne markantes Zeichen zu setzen, mit Gästen, die einen stimmigen Querschnitt dessen abbilden sollten, was unsere Stadt seit jeher interreligiös, divers, inklusiv und interkulturell gestaltet – einer historisch gewachsenen Münchner Tradition folgend, denn von der Schwabinger Boheme aus hatte sich der Reventlow’sche Zustand zeitweilig über die ganze Stadt verbreitet…
Inzwischen droht dem Reventlow’schen Zustand – wieder einmal (?!) – die Innere Immigration, doch lebt und labt er sich zumindest ab und an in Küchen wie meiner…
Das Titelfoto zeigt mich 2018 an der Eingangstür zur Monacensia und stammt von Dirk Schiff/portraitiert.de; alle Rechte vorbehalten
Nachträglich einmontiert habe ich
– ein Bild der Gräfin Franziska zu Reventlow
– das GdS-Logo, die Theatermaske mit Perlenträne
Das Graffito ist von Toni di Mauro
und entstand 2001, als Live-Act, bei einem jourfixe im Nachtcafé >>>
2001 zog es mit mir und meiner Tochter in die Mansarde in Haidhausen ein. Graffiti blieb seither, Tochter zog weiter…

