Virtuelles Gedenken zum 77. Jahrestag des Aufstands in Auschwitz, Zündstoff zwischen Erinnerungsschmerz und drohendem Baulärm

Collage von Gaby dos Santos einer KZ-Ansicht aus Auswitz-Birkenau
montiert in eine Ansicht des Holocaust-Mahnmals für die Sinti & Roma in Berlin

„Mit Messern, Schaufeln, Werkzeugen und Steinen bewaffnet verbarrikadierten sich die Sinti und Roma, unter denen sich zahlreiche ehemalige Wehrmachtssoldaten befanden, in ihren Baracken und verhinderten so ihren Abtransport in die Gaskammern.“ erinnert die Homepage des Zentralrats deutscher Sinti und Roma an den in der Mehrheitsgesellschaft nahezu unbekannten Aufstand der Sinti- und Roma-Häftlinge im sogenannten „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau, am 16. Mai 1944. > MEHR

In diesem Jahr überschattet ein seit 2020 schwelender Disput das Gedenken: Die in Berlin anstehenden Bauarbeiten für die S-Bahnlinie 21 bedrohen die Totenruhe des Mahnmals von Dani Karavan, das an die Holocaust-Opfer unter den „ziganen“ Mitbürgerinnen und Mitbürgern erinnert.  Die geplante Baustelle wird weit über die Hälfte des Geländes umfassen.  Eine solche umfassende Beeinträchtigung des Gedenkens ist für die Überlebenden und ihre Familien, war und ist für den Zentralrat unvorstellbar“, so der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, 29.5.2020| > Pressemitteilungen

Einweihung des Holocaust-Mahnmals für die Sinti & Roma am 24.10.2012
mit dem ganz großen Bahnhof deutscher Politik; Quelle: berlin.de

Bedenkt man, dass die Sinti und Roma Jahrzehnte kämpfen mussten, bis 2012 endlich das Mahnmal für ihre Toten eröffnet wurde, wird nachvollziehbar, dass die Pläne von Deutscher Bahn und Berliner Senat vielen Betroffenen – und betroffen ist bis heute so gut wie jede Sinti- und Romafamilie in Deutschland – sehr, sehr übel aufstoßen. Zumal das Konzept des Mahnmals eine Ton-Installation einbindet, die sich mit Baulärm schwerlich verträgt: Über die Installation von Lautsprechern wird die von Romeo Franz für das Mahnmal komponierte Melodie Mare Manuschenge eingespielt. MEHR

Titelbild eine GdS-Beitrags zum Unmut vieler Sinti und Roma in Bezug auf die geplanten Bauarbeiten, die obiges Denkmal in Mitleidenschaft ziehen würden > LINK ZUM BEITRAG

Wer die Ruhe stört, die von diesem Ort der Besinnung ausgeht, ermordet die unschuldigen Opfer ein weiteres Mal. Wir rufen dazu auf: das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas darf nicht angetastet werden. Wir bitten Sie: lassen Sie nicht zu, dass der Platz, von dem Versöhnung ausgeht, einem falschen Denken geopfert wird.

Ausschnitt aus einem leidenschaftlichen > Appell der Hildegard-Lagrenne-Stiftung vom Juni 2020 in Zusammenhang mit dem Bau der Berliner S-21-Linie

Inzwischen wurde ein Kompromiss-Vorschlag unterbreitet, der droht, Unfrieden unter den hiesigen Sinti & Roma zu stiften. Die eine Seite, allen voran der verdiente Bürgerrechtler und langjährige Präsident des Zentralrats deutscher Sinti & Roma, Romani Rose, appelliert an das Pflichtgefühl „seiner“ Menschen als deutsche MitbürgerInnen und spricht sich dafür aus, den Kompromiss anzunehmen, auch, um keine weiteren Ressentiments als Minderheit zu schüren. Die S-Bahn sei für das Berliner Stadtleben unverzichtbar.

Hingegen andere Bürgerrechtsgruppierungen und Institutionen der Sinti und Roma in Deutschland lehnen den Vorschlag kategorisch ab, verwehren sich gegen den Vorwurf mangelnden Gemeinschaftsgefühls und fühlen sich auch nicht annährend genug in die Diskussionsprozesse eingebunden.



Vor diesem Hintergrund findet eine gemeinsame, virtuelle Gedenkveranstaltung diverser Organisationen statt, namentlich

die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
und
RomnoKher: ein Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung
(Landesverband deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg)
unter Partizipation von
Madhouse München/Alexander Diepold und der Hildegard Lagrenne Stiftung

Sonntag, 16. Mai, von 18 Uhr bis ca. 19.30 Uhr
Widerstand und Selbstbehauptung:
Sinti und Roma in Europa – gestern und heute

zeitnah abrufbar unter nachstehendem Youtube-Kanal von RomnoKher >

Einladungstext/Programm

Der 16. Mai – der Tag des Aufstandes in Auschwitz 1944 – ist ein zentrales Datum in der Geschichte der deutschen und europäischen Sinti und Roma, das zum Symbol für den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geworden ist. Die virtuelle Konferenz erinnert an den Kampf der Sinti und Roma während der Verfolgung, für die Anerkennung des Völkermordes nach 1945 und für Gleichberechtigung. Im Mittelpunkt steht dabei der lange Weg zu einem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin.

Moderation: Gilda Sahebi

18:00 Grußworte

Uwe Neumärker (Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas)
  • Uwe Neumärker (Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas)
  • Daniel Strauß (Geschäftsführer von RomnoKher und Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg)

18:10 Vortrag
Der europäische Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus

Aurėja Jutelytė (Historikerin, Litauen)

18:30 Gespräch
Der lange Weg zur Anerkennung des Völkermords

  • Jana Mechelhoff-Herezi (Leitung Erinnerung an Sinti und Roma, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas)
  • Dr. Frank Reuter (Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Forschungsstelle Antiziganismus, Universität Heidelberg)

18:45 Video der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas 04:40

18:50 Videobeiträge aus Europa

  • Peter Pollák (MdEP, Slowakei) 00:49
  • Eva Rizzin (Wissenschaftliche Koordinatorin, Beobachtungsstelle für Antiziganismus an der Universität Verona, Italien) 00:59
  • Jon Pettersson (Vorsitzender der Frantzwagner Stiftung, Schweden) 01:36
  • Liliana Hristache (Gründerin des Vereins „Rom Réussite“ und Stadträtin von Montreuil, Frankreich) 00:31
  • Lilyana Kovatcheva (Anthropologin, Pädagogin und Historikerin, Roma-Rat, Bulgarien) 02:02
  • Zoni Weisz (Überlebender des Völkermords, Niederlande) 07:23
Zoni Weisz – niederländischer Sinto, Überlebender des Holocaust vor dem Denkmal in Berlin

19:05 Persönliche Statements und Diskussion


Allgemeine Informationen/Beiträge zu Sinti & Roma in Deutschland
> Übersichtsseite mit Bildern und weiterführenden Links

Uhrzeigersinn, v.l.o: historische Projektion der Familie Höllenreiner auf der Fassade des NS-Dokuzentrums München (Foto: Sigi Müller), Sintezza Ramona Sendlinger. Mitglieder der Familie Höllenreiner, Gedenk-Motiv, Demonstration gegen die S-21-Bauarbeiten in Berlin, Gedenktafel in München, Ansprache von Romani Rose, Alexander Diepold/Madhouse München


Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

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