OPFERPERSPEKTIVEN im Schatten von Auschwitz: Zu Monika Mendats Bilderzyklus im Vorfeld ihrer Ausstellung vom 8.Januar bis 29. Februar 2024, in der Friedrich-Ebert-Stiftung in München

Im polnischen Städtchen Oświęcim aufzuwachsen, wie die Malerin Monika Mendat, macht etwas mit einem … – zwangsläufig – denn weiterhin bedeutsam ist die historische Bürde, die auf diesem Ort lastet.

Als Zentrum des Holocaust gelangte Auschwitz, so der deutsche Name, zu grausigem Weltruhm, der ihm bis heute anhaftet, denn das ehemalige Konzentrationslager, (1940-1945), hat sich inzwischen zu einer hoch frequentierten Gedenkstätte entwickelt.

Wie aber lebt es sich in deren Schatten? Die Haltung der Bevölkerung sei diesbezüglich gespalten, so Mendat: Ein Teil der Bevölkerung lehne die andauernde Thematisierung des Holocausts mehr oder weniger ab, andere hingegen würden sich damit auseinandersetzen.

In Monika Mendat selbst reifte mit den Jahren der Wunsch heran, sich dem historischen Erbe der Stadt künstlerisch zu widmen, eine ortsbedingte Prägung, die sie nicht mehr loslassen sollte, selbst als sie längst in Deutschland eine neue Heimat gefunden hatte. Schrittweise eignete sie sich die nötigen Maltechniken an und entwickelte daraus ihre individuelle Bildersprache.

Am 27.1.2020 die Ausstellung > „Auschwitz.Mahnmal.Heimat“
~ Zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ-Auschwitz ~


Herbst 2023 / Winter 2024 > Opferperspektiven


Einen vorläufigen gestalterischen Höhepunkt erreicht Mendats schöpferischer Prozess mit ihrem aktuellen Bilderzylus, der Opferperspektiven ehemaliger KZ-Häftlinge in Auschwitz beleuchtet und im vergangenen Herbst erstmals vorgestellt wurde.

„Die in den Bildern Dargestellten schauen den Betrachter eindringlich an – von Angesicht zu Angesicht. (…)“

Zitat aus dem Ausstellungsprospekt

Sie will damit den Opfern des Nationalsozialismus ein Gesicht geben.“ (…) untertitelte Evelyn Vogel einen Artikel in der SZ, vom 5.11.2023

Momentaufnahme der Ausstellung „Opferperspektiven“ im ehemaligen Gasteig, Herbst 2023; Foto: Monika Mendat/Homepage

 (…) „Ihre Blicke begleiten die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung ‚Opferperspektiven‘, die derzeit unter Schirmherrschaft von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, im Gasteig an der Rosenheimer Straße zu sehen ist. (…)“

Evelyn Vogel > BEITRAG vom 5.11.2023 in der Süddeutschen Zeitung

Figurativ gehaltene Portraits kontrastieren mit schemenhaften Darstellungen von KZ-Häftlingen. Der so entstehende Spannungsbogen reflektiert den Verlust, aber auch das Wiedererlangen der Identität, die der Holocaust den Opfern geraubt hatte.

Als Vorlage für die Opferperspektiven dienten der Künstlerin Originalfotos von KZ-Häftlingen, ergänzt durch ausgiebige Recherchen in den Archiven des Auschwitz-Museums. Letztere bilden die – für ein historisches Thema unverzichtbare – dokumentarische Basis des Zyklus. Die abstrakten Exponate hingegen lassen den BetrachterInnen Raum für eigene Gefühle sowie für Interpretationen, im Dialog mit denen der Künstlerin. Stahlblau dominiert die Werke und zieht die Augen der BetrachterInnen hypnotisch an, fokussiert die Aufmerksamkeit unmittelbar auf die ProtagonistInnen der Werke. Unmöglich, den Blick abzuwenden!


(…)

„Die Individualporträts stehen auch exemplarisch für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe – Juden, Roma und Sinti,
politisch Verfolgte, Menschen mit einer Behinderung, Homosexuelle, Kinder, die in Experimenten missbraucht wurden.“


(…)

Quelle: Flyer zu „Opferperspektiven“

Mehr dazu > Opfergruppen

Das Portrait links zeigt einen Jungen aus der Opfergruppe der Sinti und Roma, deren Kinder besonders häufig und brutal für medizinische Experimente missbraucht wurden.

Begegnet ist mir unter Monika Mendats Opferperspektiven bezeichnenderweise auch eine Ansicht, die sich mir bereits seit Sommer 2023 ins Gedächtnis eingebrannt hatte, als ich selbst, mit einer Gruppe befreundeter Sinti, das Auschwitz-Museum besichtigte:

Auf einer Fotowand, die zahllose ehemalige Insassinnen und Insassen des KZ-Auschwitz zeigte, stach das Bild eines einzelnen Mädchens unter allen anderen hervor: Sein Gesicht wies deutliche Spuren von Misshandlung auf. Die Augen jedoch klagten nicht, sie klagten vielmehr an, was dem Blick Würde verlieh. Tief berührt nahm ich einen Ausschnitt jener Wand auf – und mit nach Hause, zusammen mit der Frage, was dem Mädchen wohl widerfahren war?

Zu sehen ist das Mädchen auf den drei letzten Karteifotos, rechts, mittlere Reihe

Unter Monika Mendats Auschwitz-Exponaten ist mir genau dieses Mädchen widerbegegnet! Offensichtlich hat dessen Ausstrahlung hat auch die Malerin inspiriert, die ihm gleich zwei Bilder widmete.

Von Monika Mendat erfuhr ich nunmehr auch den Namen hinter der Häftlingsnummer 26947: Czesława Kwoka und ebenso die Umstände, die zu ihrer Misshandlung führten: Sie war damals mit ihrer Mutter aus Süd-Polen deportiert worden. Nachdem man sie bei Ankunft im Lager ihrer Identität beraubt hatte, rief die Aufseherin sie auf Deutsch mit ihrer Nummer auf. Das Mädchen verstand weder die Sprache, noch, dass mit der Nummer 26947 nunmehr sie gemeint war, worauf die Aufseherin nach dem Stock griff …

Dank eines Posts, den ich nach dem Besuch der Ausstellung in den sozialen Medien absetzte, fand ich heraus, dass das Schicksal dieses Mädchens noch viele andere Menschen nachhaltig beschäftigt! Man teilte mit mir persönliche Erfahrungen und weiterführende Links zum Thema. So stieß ich auf weitere Berichte und auf nachstehenden Post, den die Polnische Botschaft in Deutschland zum 77. Todestag des Mädchens, am 12. März 2020 veröffentlichte, zusammen mit einer von Mirek Szponar sorgsam nachbearbeiteten Version des inzwischen ikonischen Fotos aus dem Lager.

„Bei ihrer Ankunft im KZ, am 13. Dezember 1942, wurde dem Mädchen eine Häftlingsnummer in den Unterarm tätowiert: die Nummer 26947. Ihr Kopf wurde geschoren und sie für die Lagerkartei fotografiert. Laut (…) Fotograf Wilhelm Brasse, selbst Häftling, hatte eine KZ-Aufseherin Czesława kurz zuvor mit einem Stock ins Gesicht geschlagen. (…)
Drei Monate später wurde Czesława durch eine giftige Phenol-Injektion ins Herz ermordet.“ (…)

Polnische Botschaft in Deutschland, 12.3.2020,
zum 77. Todestag von Czeslawa Kwoka;
Foto-Nachbearbeitung: Mirek Szponar

Lange in Auschwitz überlebt hat das Mädchen also nicht. Es wurde nur vierzehn Jahre alt. Überdauert hat Czesława Kwoka dennoch, dank der Erinnerungsarbeit in der KZ-Gedenkstätte, der nachhaltigen Empathie von Menschen aus aller Welt – und nunmehr auch dank der beiden Werke der Künstlerin Monika Mendat. Die Wichtigkeit ihres Anliegens, den im Holocaust entmenschlichten Opfern durch ihre Kunst die Identität zurückzuerstatten, erschließt sich hier exemplarisch!

Charlotte Knobloch schrieb in ihrem Grußwort treffend, die Ausstellung sei auch ein Appell an Alle:

„Erkenne, vor wem du stehst, und sorge dafür, dass so etwas nie wieder passiert.“

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Dazu leistet Monika Mendat einen wichtigen Betrag, zumal erst durch das Individualisieren der Opfer der an sich unfassbare Holocaust ein stückweit erfahrbarer wird, als Mahnung, die ich als inzwischen dringlicher empfinde, als jemals zuvor!

Über die Bildersprache der Künstlerin, sowie der darin verwendeten Technik und Symbolik gäbe es noch viel zu berichten … Aber statt Kunst rhetorisch zu sezieren, sollte man sie besser direkt auf sich wirken lassen! Dazu laden auch nachstehende Making Of Fotos ein, die Mendats aktuelle Arbeit an noch größeren Formaten für ihren aktuellen Zyklus dokumentieren: Der stete Fluss des Kunstschaffens …


Eine weitere Ausstellung von Monika Mendats aktuellem Bilderzyklus steht bereits an:


Mehr zu Monika Mendat >


Die Titelcollage von Gaby dos Santos
zeigt die Malerin Monika Mendat im ehemaligen Münchner Gasteig, mit zwei ihrer Bilder aus der Ausstellung „Opferperspektiven“, vor einer einmontierten Ansicht von Auschwitz



Entdecke mehr von Gaby dos Santos

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Veröffentlicht von Gaby dos Santos

GdS-Blog, Bühnenproduktionen (Collagen/Historicals), Kulturmanagement/PR > gabydossantos.com

Hinterlasse einen Kommentar

Entdecke mehr von Gaby dos Santos

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen