„Die Tränen einer Mutter kennen keine Farbe…“ Impressionen des Berliner Gastspiels von „Nächster Halt Auschwitz!“

Der Berliner Funkturm trat aus der Dunkelheit hervor; gleich darauf irrlichterte der Kurfürstendamm durch die Scheiben und signalisierte den Insassen der beiden Tourbusse von Madhouse KULTUR der Sinti & Roma die Ankunft in der Hauptstadt.

Dort stand am nächsten Tag die Reprise des > Historicals > Nächster Halt Auschwitz an, dem ersten Teil der Trilogie 2023 – 2024: „Sinti & Roma – Elegien einer deutschen Minderheit“:


Special Guest beim Berliner Gastspiel:
Romeo Franz, Sinto-Musiker, Komponist & Abgeordneter im EP

Eine Überraschung hatte es noch vor der Abreise gegeben, als Romeo Franz > Alexander Diepold und mich kurzfristig wissen ließ, dass er persönlich für seinen Sohn Sunny (nachstehende Foto-Sequenz: oben links) als Geiger im Ensemble einspringen würde!

Künstlerisch ebenso, wie kulturpolitisch erwies sich dies als Fügung, denn Romeo Franz deckte in Personalunion gleich mehrere Aspekte in Zusammenhang mit Produktion und Aufführung ab: Zum einen ist Romeo Franz ein seit Jahren international geschätzter Sinto-Geiger. Von ihm stammt zudem die KIanginstallation Mare Manuschenge, die in Endlosschleife am Berliner Holocaust-Mahnmal der Sinti und Roma zu hören ist. Daher spielt die Komposition akustisch und ideell auch eine zentrale Rolle in meiner Produktion, zumal Romeo Franz Mare Manuschenge nicht nur geschrieben, sondern auch mit dem Geigenbogen seines in Auschwitz ermordeten Onkels Paul Franz eingespielt hat (s. Bildcollage links). Zum anderen sitzt Romeo Franz, als erster Sinto überhaupt, für DIE GRÜNEN im Europäischen Parlament. Entsprechend kam ihm bei unserem Berliner Gastspiel eine Doppelfunktion auf: Als Geiger UND als kulturpolitischer Redner (Foto oben rechts).


On the Road:

Gaby dos Santos, noch verschlafen, am 12.12. im Tourbus von Madhouse KULTUR der Sinti und Roma, auf dem Weg zum Gastspiel nach Berlin

Die Anreise wurde durch den für Sinti typischen Zusammenhalt geprägt, begleitet von steter Rücksichtsname auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten, insbesondere unserer älteren Mitreisenden. Die lasen wir einzeln, sozusagen „frei Haus“ auf, jeweils im Konvoi gleich beider Busse. Eine Abholaktion, die sich gefühlt länger gestaltete, als die eigentliche Fahrt.
;-) 
Selbst schon in die friedhofsblonden Jahre gekommen, empfinde ich den Respekt der Sinti & Roma gegenüber älteren Menschen als äußerst wohltuenden Kontrast zu dem in der Mehrheitsgesellschaft mitunter grassierenden Jugendwahn!

Gaby dos Santos, Eindrücke der Anreise, 12/2023

Nachstehend einige Foto-Impressionen der Reise:

In nachstehender Fotosequenz, oben links, im Vordergrund Sandor Lehmann, Leadsänger in der Trilogie, in der für ihn typischen Pose mit Zigarette. Nicht zu fassen, dass seine Stimme kein bisschen wie die von Tom Waits klingt, sondern unendlich sanft! Hinter Sandor die Sinto-Musiker Rolf Schmidt (hinten) und Armin Krause sowie mittig, lächelnd, Alexander Diepold, Chef von Madhouse, dem Familienberatungs- und Kulturzentrum für Sinti und Roma in München.
Unten links Sandor vor einem der beiden Tourbusse im Gespräch mit Alexander Diepold. Angehalten wurde ziemlich oft, das Nikotin forderte Tribut ….
Großes Bild rechts: Gitarrist Armin Krause ist in Nürnberg zugestiegen.


Am nächsten Vormittag

war konzentriertes Arbeiten angesagt, denn es standen dem Ensemble nur wenige Stunden für Soundcheck und Proben-Durchlauf zur Verfügung, um sich auf die Aufführung am selben Abend vorzubereiten!

Erwähnenswert die tadellose Logistik und technische Unterstützung – die „halbe Miete“ jeder Veranstaltung – in der Katholischen Akademie.

LINKS: Da Romeo Franz gerade den Soundcheck an sich genommen hat, nutze ich die Zeit für letzte PR-Posts in den Sozialen Medien, um die Aufführung am Abend zu bewerben. Hinter mir im Uhrzeigersinn: Geiger Romeo Franz, die Gitarristen Sascha Reinhardt und Armin Krause (stehend) und, in das Skript vertieft, Schauspieler Alexander Adler.
RECHTS: Romeo Franz, Sascha Reinhardt sowie stehend Alexander Adler


Die Stunde der Wahrheit naht, der Count Down hat begonnen

Alexander Diepold, Chef von Madhouse KULTUR der Sinti & Roma und Koproduzent der Trilogie, testet vor seiner Begrüßungsrede noch schnell das Mikrophon. Währenddessen richte ich die Dateien für die XML-Anwendung ein, mittels der ich alle meine Historicals montiere und abspiele. (Ein den Powerpoint-Präsentationen ähnliches Verfahren, aber flexibler.)


Begrüßungsreden – Aufführung von Nächster Halt Auschwitz – Ausklang

Seine Anwesenheit verlieh unserem Gastspiel kulturpolitisch Glanz:
Dr. Mehmet Daimagüler, Antiziganismusbeauftragter des Bundes!


Aus dem Stegreif hielt er eine pointierte Rede voller Engagement für die Gleichstellung von Sinti & Roma in Deutschland, für die er viel Zustimmung erntete!

Alexander Diepold wurde kürzlich in seinen Antiziganismus-Beirat berufen.

Mit einem berührenden Statement gegen Rassismus leitete Frontmann Sandor Lehmann den finalen Song des Historicals ein: Die jiddische Mame. Auch die Sinti und Roma hätten im sogenannten „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau dieses Lied gesungen und später ihren Nachkommen übermittelt, seine Mutter ihm, denn:

„Die Tränen einer Mutter kennen keine Farbe, sind weder schwarz noch weiß…“

Sinto Sänger Sandor Lehmann im Finale von
Nächster Halt Auschwitz

Als Sandor Lehmann dann – mit ganz viel Seele in der Samtstimme – zu singen begann, übertrug sich seine Emotionalität auf das gesamte Publikum. Wie schon im März in München, eroberte er auch in Berlin die Zuhörerschaft restlos und erntete Standing Ovations. Verdient!

Mehr unter > Die Mitwirkenden

Dem Schlussapplaus und Feedback nach zu urteilen, wurde die Aufführung von Nächster Halt Auschwitz auch insgesamt, wie schon in München, positiv aufgenommen. Kanon:

Die Produktion berühre emotional und vermittle zugleich der Mehrheitsgesellschaft neue Erkenntnisse über Sinti & Roma

V.li: Die Schauspieler Alexander Adler und Marion Niederländer, Produzentin Gaby dos Santos und Wesley Höllenreiner. Der hat für den Multimedia-Teil der Show überlieferte Zitate seines Urgroßvaters Hugo Höllenreiner eingelesen, aus der Biografie Denk nicht wir bleiben hier! von Anja Tuckermann.
> Zeitgeschichtliche Quellen

Auszug aus der Gästeliste vom 13.12.2023:

Alexander Diepold begrüßt das Publikum in der Katholischen Akademie in Berlin; 13.12.2023

Zur Aufführung erschienen überraschend viele Sinti und Roma, Einzelpersonen, Familien mit ebenso braven wie niedlichen Kindern sowie VertreterInnen aus dem breiten Spektrum an Organisationen, die in den letzten 40 Jahren aus der Bürgerrechtsbewegung der Sinti & Roma hervorgegangen sind.

Auf der Gästeliste u.a.

  • Kelly Laubinger, Co-Vorsitzende Bundesvereinigung der Sinti & Roma (BVSR)
  • Daniel Strauß, u.a. Vorstand Bundesverband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg
  • Marlo Thormann, Vorsitzender der SintiUnion Schleswig Holstein
  • Peter Richter, Oskar Weiß und Peter Kraus von der Sinti Allianz



  • Die Hildegard Lagrenne Stiftung (HLS) gehört deutschlandweit zu den gewichtigsten Stiftungen ihrer Ausrichtung und betreibt seit 2021 auch eine Niederlassung in Berlin. Deren Projektmanager Christoph Leucht und sein Team waren geschlossen zur Aufführung erschienen, nachdem unser Ensemble am Vorabend an deren Weihnachtsfeier teilgenommen hatte. Persönlich besonders berührt hat mich Victoria Sokolinskaia, die für grafische Gestaltung und Social Media bei der Berliner HLS-Zweigstelle verantwortlich zeichnet und mich bei den Vorbereitungen zum Berliner Gastspiel tatkräftigst unterstützt hat. Um wenigstens etwas von der Aufführung mitzubekommen, nahm sie ihre kleine Tochter mit, nachdem der Babysitter ausgefallen war. Geschäftsführer der HLS ist seit 2019 übrigens Alexander Diepold.

Für mich stellt es immer eine besondere Herausforderung dar, wenn Menschen mit persönlichem Bezug im Publikum sitzen, Zeitzeugen oder deren Angehörige. In solchen Fällen stehe ich doppelt in der Pflicht, dem Thema nicht nur historisch und künstlerisch gerecht zu werden, sondern bei der Umsetzung auch Fingerspitzengefühl walten zu lassen, gegenüber denen, aus deren Geschichten ich Geschichte spinne.

.

Der Einladung als Ehrengäste mit besonderem Bezug gefolgt waren diesmal die Söhne zweier Holocaust-Überlebender: Neben Dr. Mehmet Daimagüler in Reihe 1 sitzen Michel Avaro und Ludwig Höllenreiner. Ihre Väter, Peter und Manu Höllenreiner waren als Kinder nach Auschwitz Birkenau deportiert worden. Beider Schicksal wurde später in Biografien nachempfunden > Zeitgeschichtliche Quellen

Dahinter re. außen Romeo Franz, daneben Daniel Strauß, Vorstand Bundesverband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband BW, mit Gattin aus Mannheim angereist.

Ein besonders dickes „Merci“ gebührt Henny Engels: Sie hat uns nicht nur die Katholische Akademie als Spielstätte empfohlen, sondern auch tatkräftig die Werbetrommel gerührt, respektive unterschiedlichste Email-Verteiler mit der Info zur Aufführung von Nächster Halt Auschwitz bestückt. Sie selbst bekleidet eine Doppelfunktion als:

Unter den Gästen befanden sich desweiteren:

Leider erkrankt und entsprechend vermisst wurden zwei Mitglieder des Stiftungsrats der Hildegard Lagrenne Stiftung

Nach der Show ein Lächeln im Doppelpack mit meinem langjährigen künstlerischen Weggefährten, dem bekannten Berliner Chansonnier und begnadeten Interpreten jüdischer Lieder, Karsten Troyke, dem ich nun erstmals eines meiner Historicals präsentieren konnte, kombiniert mit einem Wiedersehen, das längst hätte stattfinden sollen…. So jedenfalls der Plan von Karsten und mir nach seinem letzten Gänsehaut-Auftritt im Jüdischen Museum in München, 2019. Doch dann brach Corona aus…

Nach glücklich überstandener Show hätte ich gerne noch Stunden mit den Gästen geplaudert, herausgefunden, wer sich – in diesem mir zuschauertechnisch noch fremden Berlin – außerdem im Publikum befand, neue Kontakte vertieft und ein klitzekleines Bisschen mehr Zeit mit meiner Kusine und meiner Nichte verbracht…

Halb so wild, schließlich ist ….


.. NACH der Show VOR der Show!
Entsprechend haben die Vorbereitungen für die Produktion von Teil 2 der Trilogie begonnen, aus Anlass zweier Jahrestage, die 2024 zum achtzigsten Mal begangen werden
> MEHR

„Apokalypse Auschwitz“ Vom Überleben und Sterben im ‚Zigeunerlager!‘
(Link in Kürze)

  • 16. Mai 1944: Der Aufstand im „Zigeunerlager“ von Auschwitz Birkenau rettete vielen Sinti & Roma das Leben
  • 2. August 1944: Die Mordnacht im „Zigeunerlager“, in der alle verbliebenen Sinti und Roma in einer einzigen schrecklichen Nacht ermordet wurden!

Details in Kürze > HIER
Voraussichtlicher Aufführungstermin: September 2024
Wieder sind eine Uraufführung in München und ein Gastspiel in Berlin vorgesehen.


EPILOG und Erläuterung der Titelcollage

Davon, eines Tages Geschichten und Menschen auf die Bühne zu bringen, einschließlich meiner selbst, habe ich schon als Kind geträumt. Vorzugsweise in meiner Geburtsstadt Berlin, die ich heiß und innig liebte, weil dort meine Großeltern lebten, die ich heiß und innig liebte …

Auf der Titelcollage, unter der Leinwand, bin ich mit zehn Jahren zu sehen, wie ich schon mal Verbeugen übe 😉

Komplize meiner Berliner Kindheitsträume war der Funkturm, den ich nachts durch das Fenster im Gästezimmer meiner Großeltern funkeln sah und bei Bedarf zum Bühnenlicht meiner Phantastereien umfunktionierte.

Wenn Träume dann in Erfüllung gehen, müssen dringend neue her…

Gerne wieder mit Funkturm-Funkeln!
Und unbedingt mit Sandor als universellem Seelen-Troubadour!

Fazit zum Berliner Gastspiel am 13.12.2023

Bis dahin lässt es sich gut mit lieben Menschen feiern
Auf der Abbildung sind es Michel, Laura und Wesley, Nachkommen des Auschwitz-Überlebenden Hugo Höllenreiner, spätabends, beim Spanier, neulich in Berlin….

Auf der Titel-Collage oben links zu sehen, ist meine Kusine. Jeder meiner Auftritte mit Familie im Publikum ist für mich ein besonderer, aber auch seltener. Alle leben verstreut… Bei dieser Aufführung habe ich vor lauter Freude dann prompt vergessen, Kusine mit Tochter zu fotografieren. Daher sitzt sie in meiner Collage stattdessen auf der Regenbogenbank am Alten Südlichen Friedhof in München, wo ich sie kurz zuvor fotografiert habe. Warum auch nicht! Schließlich sprengt künstlerische Freiheit Raum und Zeit!  😉

Last not least zu sehen sind zwei für mich besondere Gäste des Abends:
Links Dr. Mehmet Daimagüler, der Antiziganismusbeauftragte des Bundes während seiner Rede und rechts Chansonnier Karsten Troyke, mit dem mich Bühnenerinnerungen aus 30 Jahren verbinden.


Nachstehend weitere SEITEN mit erläuternden Fakten
sowie BEITRÄGE mit persönlichen Einblicken

Kontakt

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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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