„Tooor für Utopia!“: Impressionen des interkulturellen Fußball-Cups 2024, „Gemeinsam Füreinander – 11:0 für Toleranz“, veranstaltet von der Polizei München

Das Hohelied auf die verbindende Wirkung des Fußballs wurde längst bis zur Abgedroschenheit geträllert, vom Kommerz pervertiert und in Hollywood- Schmonzetten bemüht. Dennoch reibt man sich verwundert die Augen, wenn sie einem tatsächlich auf einem Campus begegnet. So erging es mir kürzlich in der Bezirkssportanlage Agilolfinger Str. 6 in Untergiesing, und das gleich in mehrfacher Hinsicht, angesichts dessen, was dem Fußball buchstäblich spielend hier gelang: Abseits interkultureller Grenzen und behördlichem Machtgefälle einfach nur das Runde ins Eckige zu schießen! Dieses Fußball-Match kam einem Abstecher nach Utopia gleich, jener besseren Welt, deren Vision der englische Humanist Thomas Morus schon vor 500 Jahren entwarf.

Wie im Vorjahr, gelang es auch 2024 Teams unterschiedlichster Couleur aufzustellen, jenseits ethnischer, politischer, konfessioneller oder sonstiger Vorbehalte. Angetrteten war eine Mannschaft der Muslime in München ebenso, wie gleich zwei jüdische Mannschaften, der TSV Maccabi München e.V und ein Team der IKG München und Oberbayern, ohne dass auch nur ansatzweise der Nahost-Konflikt dabei thematisiert, geschweige denn ideologisch angeheizt worden wäre.

Sport jenseits der politischen Großwetterlage, während der Vergabe der Teilnehmer-Preise: V.li. Vertreter der Muslime in München, mi. des TSV Maccabi München e.V, re. der IKG München und Oberbayern

Ebensowenig, wie irgendeine Flüchtlingsdebatte, trotz des Gewusels der Ethnien und Nationalitäten, in einer gefühlten Bandbreite von „A“, wie Afghanistan bis „Z“, wie „Zentralafrika“. Im Publikum feuerten Musliminnen in Hidschāb und Abaya ihre Männer an, daneben bauchfreie Urkainerinnen die ihren.

Bunte Kindervielfalt beim Fußballturnier:
LI: Die junge Delegation der Filiale Madhouse Medlingen, die mit ihren Erzieherinnen extra anreiste
RE: Zwei der Väter aus dem ukrainischen Team nahmen kurzerhand ihre Sprösslinge zur Siegerehrung mit

Was diese so unterschiedlichen Gruppen tatsächlich übereinander dachten, dürfte vielschichtiger gewesen sein, als die offensichtliche Harmonie, doch der erste, wesentliche Schritt in Richtung Utopia war vollzogen: DIE BEGEGNUNG an sich! Was die ebenfalls zahlreich anwesenden, mal mehr, mal weniger gelangweilten Kiddies anbelangte, so lachten und heulten die sowieso im universellen „Kindersprech“. Als nachfolgende Generationen werden sie hoffentlich einer Globalisierung des Zwischenmenschlichen noch wesentlich näher kommen, als wir BesucherInnen an jenem Tag und Ort… Gelegenheiten wie diese können nachhaltig Weichen stellen.

Gender gemischte Mannschaften im Polizeidienst ebenso, wie hier auf dem Campus: Drei von Elf der Polizeieinspektion 11

Nomen ist hier farblich omen:
Ein Vereinsmitglied von Münchner Blaulicht e.V.

Die Gastgeber, das Polizeipräsidium München in Zusammenarbeit mit dem Beauftragten gegen Hass vom LKA schickten in diesem Jahr einige Teams ins Rennen: Neben einem Team der Staatsanwaltschaft München I und des Kulturreferats München spielten auch die Fußballer und Fußballerinnen der Polizeiinspektion 11 mit. Das Turnier wurde durch beide Polizeivereine, dem Münchner Münchner Blaulicht e.V. und dem Münchner Sicherheitsforum finanziell unterstützt.

Letztere Mannschaft spielte mit dem wohl größten Körpereinsatz von allen, mit entsprechenden Blessuren als Folge und bildete, soweit ich sehen konnte, die einzige Gender gemischte Mannschaft des Turniers überhaupt.

Ich finde: Hier besteht noch einiger Nachbesserungsbedarf bei der Aufstellung künftiger Mannschaften!

Geboren wurde die Idee zu dieser Wettkampfreihe aus einem Missstand: Vor einiger Zeit ergab eine Studie, dass Sinti & Roma DIE deutsche Minderheit bildet, die sich am häufigsten Übergriffen seitens der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sieht, diese jedoch kaum zur Anzeige bringt! Der Grund hierfür wurzelt in der jüngeren deutschen und insbesondere bayerischen Geschichte, in der die Polizei eine Vorreiterrolle bei der flächendeckenden Erfassung und Verfolgung von Sinti & Roma vor und während des Holocaust einnahm, als Zigeunerzentrale München sowie sogar noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein. „Erst im Jahr 1965 wurde die Dienststelle aufgelöst und die damalige [Landfahrer]-Kartei in den Jahren 1970 bis 1974 vernichtet.“ (Polizeipräsident Thomas Hampel)

Inzwischen herrscht das Bestreben vor, dieser historischen Altlast energisch in Worten und Taten entgegenzuwirken:

„(…) München hat eine bunte, moderne Stadtgesellschaft, geprägt von Toleranz und durch Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten. Gerade durch regelmäßigen Austausch mit der jüdischen und muslimischen Gemeinschaft, der LGBTIQ*, der Black Community und natürlich der Sinti und Roma erhalten wir Einblicke und Erfahrungen aus erster Hand, die für uns besonders wichtig sind. (…)

Aus der Rede von Thomas Hampel, dem amtierenden Münchner Polizeipräsidenten, vor der Uraufführung von Nächster Halt Auschwitz!, am 21.3.2023; ein Gemeinschaftsprojekt mit Madhouse KULTUR der Sinti & Roma

Dass sich weder o.g. Rede noch weitere öffentliche Absichtserklärungen in Lippenbekenntnissen erschöpfen, zeigt sich in einem Katalog an Aktivitäten, den die Polizei inzwischen aufgelegt hat, im Sinne einer weltoffenen, toleranten Bürgerschaft, die ja auch Polizistinnen und Polizisten einschließt.

Seit 2023 stellt die Bayerische Polizei zudem, mit Michael Weinzierl, einen Beauftragten speziell für Hasskriminalität (Foto Mitte)

Während der Preisverleihung 2024, v.links:
Robert Kopp/Vorstand Münchner Blaulicht e.V.,
Sinto-Spieler Loreno, Michael Weinzierl 

Maximilian Schaad, Münchner Sicherheitsforum

Im Zuge diverser Veranstaltungen und Treffen zum Thema „Eindämmung von Hasskriminalität“ entwickelte sich zwischen Madhouse-Chef Alexander Diepold und Kriminalkommissar Harald Frießner, Abteilung Kriminalprävention, ein herzliches Verhältnis und, bei einem gemeinsamen Spaziergang, schließlich die Vision eines interkulturellen Fußball-Turnier.

Der Button zum Turnier

Parallel kam die Idee zu einem interkulturellen Fußball-Cup auch im Zuge einer Veranstaltung 2022 bei Bellevue die Monaco auf. Dort unterhielten sich wiederum Kriminaloberkommissar Harald Frießner (damals noch SG E 34 beim Polizeipräsidium München) und Kriminalhauptkommissar Peter Weinmaier von der Polizeiinspektion 11 gemeinsamen mit geflüchteten Minderjährigen. Soviel Zuspruch von unterschiedlichen Seiten führte 2023 zum ersten interkulturellen Fußball-Turnier in München, unter Führung der Polizeiinspektion 11, unter dem verbindenden Motto:

Miteinander statt Nebeneinander!

Bereits 2023 hatte sich Madhouse München, das Familienberatungs- und Kulturzentrum der Sinti & Roma mit einem Team des ihm angegliederten RomnoPowerClubs am Turnier beteiligt und einen stolzen 2. Platz erkämpft! In diesem Jahr legten die Jungs entsprechend motiviert los.

Ich war noch nicht einmal mit dem Frühstück durch, als mich Alexander Diepold, Chef von Madhouse München via Handy euphorisch von ersten Tor-Erfolgen unterrichtete.

– Männer im Fußballglück werden mir ein ewiges Rätsel bleiben!

Vor Ort traf ich zunächst unerwartet auf Erkan Inan, der personifizierte Indikator für positives interkulturelles Geschehen in München. Er hatte sich privat eingefunden, um die Muslime in München zu motivieren, die auch prompt einen Sieg davon trugen, ausgerechnet gegen unsere Madhouse-Mannschaft! 😦

Das Team der Muslime in München (in Pink) besiegte leider „unsere Jungs“ des RomnoPowerClubs, einer Einrichtung von Madhouse KULTUR zum Empowerment junger Sinti & Roma

Da Erfolg mitunter zu Übermut verleitet, hatte es das Madhouse Team schlichtweg versäumt, im Vorfeld genug zu trainieren, um zu einer spielerischen Einheit zusammenzuwachsen. Das wäre jedoch angesagt gewesen, da Alexander Diepold bewusst eine ethnisch gemischte Truppe zusammengestellt hatte, in der Sinti & Roma zwar die Mehrheit stellten, aber durch gänzlich neue Mitspieler aus Afghanistan und Syrien ergänzt wurden, um auch mannschaftsintern das Prinzip des multikulturellen Miteinanders widerzuspiegeln. Angesichts dessen erschien mir der lauwarme 9. Platz als eine ziemliche Errungenschaft 😉

Einige Spieler des RomnoPowerClubs, der Madhouse KULTUR der Sinti & Roma angegliedert ist:
Linkes Foto, v..li: Fausto, Dannito, Loreno und Gennaro

Rechtes Foto: Links Gennaro, ganz rechts Dannito

Eine nette, aber auch bezeichnende Geste war die Ehrung ALLER Mannschaften mit einem Pokal, kam doch der Losung „Mitmachen ist alles“ bei diesem Turnier eine Schlüsselrolle zu!
Der Fair-Play Pokal, ging als Sonderreis in diesem Jahr an die Weitblick-Jugendhilfe e.V. ging (nachstehendes Foto).

Die Trophäen – eine für jedes Team – aufgereiht vor einer Wand des mobilen Infostandes der Polizei

Gemäß der Tradition des amerikanischen Superbowls rundete auch hier eine Show-Einlage die Wettkämpfe ab – und zwar eine, die es in sich hatte: Unter Anleitung einer energischen Olga mit starkem Ukraine-Slogan auf dem T-Shirt

BE BRAVE LIKE UKRAINE

führten ukrainische Schülerinnen jene „Wild Dances“ auf, mit denen Landsmännin Ruslana 2004 den ESC gewonnen hatte. Zuvor hatte ein junger Sänger, Maksym (Max) Demchenko der Organisation Shalom Ukraine (Youth Bridge) mit Gänsehaut-Faktor einige ukrainische Lieder vorgetragen; was ihn anbelangt witterte ich erhebliches künstlerisches Potential, nicht zuletzt auf Grund seiner starken Bühnenpräsenz, trotz Jugend und motorischer Einschränkungen durch die Nachwehen einer OP!

Mich berührte der Gedanke, dass diese Teenager über die üblichen Probleme ihrer Altersgruppe hinaus, wie Akzeptanz in der Clique oder Liebeskummer, mit Sorgen existentieller Tragweite konfrontiert und doch sichtbar entschlossen waren, ihr Land hier und heute bestmöglich zu vertreten. Letzteres galt natürlich erst recht für die sehr gut eingespielte Turniermannschaft. Als ihr mehr als verdienter Sieg feststand, nahm der Jubel gar kein Ende mehr.

S0 sehen Sieger aus! Die glorreiche ukrainische Mannschaft im Siegestaumel, inklusive Fotobombe

Über die Ukraine holte mich dann leider auch die Wirklichkeit ein stückweit wieder ein, in Form einer Frage, an mich gestellt während der Siegerehrung von meiner neuen, kleinen Freundin Chiara:

„Hat die Ukraine jetzt den Krieg gewonnen?“


EPILOG:

Nach dem „K“icken für Toleranz spann Sinto Johann Mettbach (leitendes Mitglied des RomnoPowerClubs) am Rand des Spielfelds gleich ein weiteres „K“-Konzept für Toleranz und Völkerverständigung aus, das mir ebenso erfolgsversprechend scheint, nämlich „K“ochen für Toleranz. Dabei lernte ich, dass es – von wegen „Zigeunerschnitzel“ – eine eigenständige Sinti-Küche gibt. Bin gespannt, sie auszuprobieren!

Das Turnier hat enorm motivierend auf alle Beteiligten, insbesondere auch auf die Mannschaft der Sinti und Roma gewirkt.

Die Mannschaft des RomnoPowerClubs ist inzwischen fest entschlossen, sich dauerhaft zu formieren, allen voran Loreno (links), der bereits ein Trikot entworfen hat.

Eine Übereinkunft mit dem jüdischen Sportverein TSV Maccabi München e.V bzgl. der Mitnutzung ihres Sport-Geländes ist zudem so gut wie in trockenen Tüchern.



Was Madhouse-Chef Alexander Diepold anbelangt, so ist der längst wieder drei Schritte weiter – mindestens – 😆 und meldet vom Deutschen Stiftungstag 2024 in Hannover:

„Es ging unter anderem um Vernetzung und das Finden neuer Stiftungen, die sich für das Thema „Sinti und Roma“ interessieren.

⚽

Ich habe bei Sportstiftungen das Fußballprojekt vorgestellt und den Hintergrund, wie wir als Sinti in das Turnier integriert wurden. Mein Anliegen wurde mit großem Interesse wahrgenommen. Die Lotto Stiftung wäre ein potentieller Ansprechpartner.

⚽⚽

Ich hatte das Glück, dass auch Philipp Lahm, der Starkicker, eine Stiftung gegründet hat. Mit ihm konnte ich kurz sprechen. Eventuell würden wir in deren Raster passen, um für den Start gefördert zu werden. Das wäre großartig!“


Mein Fazit:

Hoppla, diese gute Saat ging aber schnell auf!

Ein dickes, aufrichtiges Merci gebührt der Polizei München respektive ihren Vereinen für die Umsetzung dieser (Fußball)-Vision, insbesondere Kriminalhauptmeisterin Bianca Küper, die auch diese Mammut-Veranstaltung mit dem ihr eigenen Herzblut-Engagement durchführte 🙂


Mehr siehe unter > madhousekultur.wordpress.com


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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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