„Mit Messern, Schaufeln, Werkzeugen und Steinen bewaffnet verbarrikadierten sich die Sinti und Roma, unter denen sich zahlreiche ehemalige Wehrmachtssoldaten befanden, in ihren Baracken und verhinderten so ihren Abtransport in die Gaskammern.“ > MEHR
Die bis heute in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Revolte spielte sich im sogenannten Zigeunerlager, im Abschnitt B II e des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ab, wo man unter dem Sammelbegriff „Zigeuner“, Sinti & Roma, Jenische und Reisende familienweise interniert hatte.
1944 benötigte die Lagerleitung Platz für die Tausenden ungarischer Juden, die jetzt täglich in Auschwitz eintrafen und noch arbeitsfähig waren. Daher wurde damit begonnen, die Insassinnen und Insassen aus dem Lagerabschnitt B II, Baracke um Baracke, LKW-weise zu räumen und ins Gas zu schicken. Das sprach sich auf dem Gelände herum und die Häftlinge beschlossen, lieber kämpfend zu sterben, als sich „wie Vieh zur Schlachtbank“ führen zu lassen.
Alexander Diepold, Chef von MadhouseMünchen, dem Familienberatungs- und Kulturzentrum für Sinti und Roma formuliert dazu am heutigen Jahrestag:
Otto Rosenberg hatte herausgefunden, dass die sogenannten „Zigeunerbaracken“ in Auschwitz Birkenau liquidiert werden sollten. Die späteren Zeitzeugen Hugo und Mano Höllenreiner, damals Kinder, berichteten später vom Aufstand unter Ägide ihrer Väter: Die Männer bewaffneten sich mit Straßen- und Gartenwerkzeugen und allem, was auch nur annährend zur Verteidigung tauglich erschien.
Die Entschlossenheit und Überzahl der Männer bewog die SS schließlich zu verhandeln, denn ein Aufstand hätte sich auch auf die übrigen Lagerbaracken ausweiten und zu einem Großaufstand aller KZ-Häftlinge führen können. Die Anführer der Aufständigen erklärten ihre Bereitschaft, an vorderster Kriegsfront zu kämpfen, wenn ihre Angehörigen von der Gaskammer verschont blieben. Die SS willigte ein, hielt Wort und verschob diese Familien tatsächlich in andere Konzentrationslager, wo es vielen gelang, zu überleben…
…wie dem damals 5jährigen Peter Höllenreiner, dem dank dieses Aufstands vergönnt war, 75 Jahre später, am 2. und 3. August 2019, die Gedenkfeierlichkeiten in Auschwitz-Birkenau noch zu erleben:
Die Unglücklichen jedoch, die im „Zigeunerlager“ verbleiben mussten, erwartete ein grausames Ende: In einer einzigen Mordnacht wurden 4300 Kinder, Kranke und Alte, nach verzweifeltem Widerstand, 1944 ins Gas getrieben.
Heute erinnert ein Mahnmal an das Los der Insassinnen und Insassen des sogenannten „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau
„Am heutigen 16. Mai 2024 erinnern wir an den erfolgreichen Lageraufstand in Auschwitz: Damals leisteten Sinti und Roma im „Zigeuner-Familienlager“ von Auschwitz-Birkenau erbitterten Widerstand gegen ihre geplante Ermordung, wodurch mehrere tausend Leben gerettet wurden. Für einen Moment keimten Hoffnung und Ermächtigung aus dem Morast der Vernichtung auf.
Der Häftlingsaufstand vom 16.05.1944 und die Vernichtung aller im Zigeunerlager verbliebenen Häftlinge in der Mordnacht zum 3. August 1944 werden im zweiten Teil der Trilogie „Sinti & Roma: Elegien einer deutschen Minderheit“ (2023 – 2025) dargestellt werden.