„Ein nüchternes Bürogebäude mitten in München soll ein ‚Narrenhaus‘ beherbergen?„, lautet die rhetorische Frage im BR-Pressetext zur ARD-Dokumentation „Leben im Madhouse: Ein Ort für Sinti & Roma“. Weiter heißt es:
„Madhouse“ nennt sich die Einrichtung, die sich hier um fast 400 Sinti- und Roma- Familien kümmert. Gegründet hat sie der Diplom-Sozialpädagoge Alexander Diepold, der in den 1960er Jahren als Heimkind selbst verletzt und gedemütigt, aber nicht bitter wird.
Bereits mit 18 Jahren betreut er das Projekt einer familienanalogen Wohngemeinschaft mit „schwer erziehbaren“ Jugendlichen. Jahre später nennt sich seine Modell-WG „Madhouse“, weil die Jugendlichen es als verrückt ansehen, dass sie mit all ihren „Auffälligkeiten“ freundschaftlich unter einem Dach zusammenleben.
Als Diepold eher zufällig erfährt, dass seine Mutter Sintezza ist und sein Vater als Sinto nach Auschwitz deportiert worden war, setzt er nach intensiver Überlegung auf ein Outing seiner Herkunft. Das Betreuungsangebot von „Madhouse“ weitet er gezielt auf Sinti- und Roma-Familien aus.
Mittlerweile ist Madhouse Programm: Niemand wird hier wegen seiner Herkunft ausgegrenzt. Und überall, wo Alexander Diepold lebt und arbeitet, ist ‚Madhouse‚: Zuhause bei seiner eigenen Familie im Schwäbischen, in den Sinti- und Roma- Familien, die er besucht, bei öffentlichen Auftritten, die er begleitet, und eben auch im dem nüchtern aussehenden Haus mitten in München.
Doch wer meint, Alexander Diepold gebe sich damit zufrieden, sich „nur“ der von ihm gegründeten Sozialeinrichtung „Madhouse“ zu widmen, kennt ihn schlecht. Vielmehr widerlegt er entschieden, dass das Talent zum Multitasking uns Frauen vorbehalten sei. Sobald er irgendwo Handlungsbedarf sieht, sieht er sich auch automatisch selbst in der Pflicht. Entsprechend seiner Überzeugung, Bildung sei der Passepartout zu gesellschaftlicher Teilhabe, übernahm er 2019 zusätzlich die Geschäftsführung der hochkarätig aufgestellten Hildegard-Lagrenne Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland.
Die Hildegard Lagrenne Stiftung verfügt seit 2021 auch in der Hauptstadt über ein Büro, mit Sitz im Pangea-Haus in Berlin Wilmersdorf; Obige Bilder zeigen Momentaufnahmen der Auftaktveranstaltung 2021, u.a. mit Rita Süßmuth, Doris Schröder Köpf und Diepolds Vorgänger, dem EU-Parlamentarier Romeo Franz
Zwar hält diese neue Verantwortung Alexander Diepold jeden Monat tageweise von seinem Münchner Büro fern, doch agiert dort inzwischen, nach einer umfassenden Ausbildung, auch Sohn Benjamin Diepold als Geschäftsführer.
In dieser Funktion obliegt ihm auch die Leitung des Sinti-Campingplatzes im Münchner Norden. Nachdem Sanitäranlagen und Wirtschaftsgebäude unübersehbar in die Jahre gekommen waren, übernahm Madhouse München vor einiger Zeit die Verwaltung sowie die dringend nötigen Sanierungsarbeiten, die inzwischen auch schon wieder fast abgeschlossen sind.
Die Kontinuität seines Engagement sieht Alexander Diepold (rechts o.) gesichert durch seinen Sohn Benjamin (links), vor der zukünftigen Schmankerlhütte auf dem Münchner Sinti-Campingplatz. Für dessen Sanierungsarbeiten reiste Cousin Dani mit seiner Baufirma aus Köln an.
Die Madhouse-Nachfolge in 3. Generation könnte dann Alexander Diepolds Enkel (Bildmitte) gewährleisten. 😉
Da jedoch die Zukunft auf der Vergangenheit gründet, gilt Diepolds Engagement seit Jahren auch der Erinnerungskultur, insbesondere der Aufarbeitung des Holocaust an den Sinti & Roma, Jensichen & Reisenden und allen weiteren, unter dem Begriff „Zigeuner“ im Dritten Reich verfolgten Menschen. So ist es seiner Insistenz mit zu verdanken, dass seit 2018 die Landeshauptstadt München alljährlich am 13. März der Deportation der Münchner Sinti und Roma gedenkt.
Gedenktafel für die deportierten Sinti und Roma aus München am Platz der Opfer des Nationalsozialismus2018_03_13_Alexander-Diepold_Peter-Hoellenreiner_Erich-Schneeberger_Romani-Rose_Christine-Strobl_Rathaus-Muc
2023, aus Anlass des 80. Jahrestags der Deportation der Münchner Sinti und Roma, startete Diepold gemeinsam mit Gaby dos Santos die Produktion der über drei Jahre angelegten Trilogie Sinti & Roma: Elegien einer deutschen Minderheit. Teil 1, Nächster Halt Auschwitz! wurde bereits, in Kooperation mit dem Münchner Polizeipräsidium, im März 2023 uraufgeführt und geht am 13. Dezember 2023, in der Katholischen Akademie in Berlin, in Reprise.
Alexander Diepold begrüßt die Münchner Ehrengäste aus Kunst, Kultur, Gesellschaft & Politik – und last not least aus der Müncher Sinti & Roma Community
Aufschlussreich: Alexander Diepolds Eröffnungsrede am 21.3. im Alten Rathaus München
Doch ist das Gebäude in der pittoresk-multikulturellen Münchner Landwehrstraße schon lange vor dem Trilogie-Projekt zu einer Anlaufstelle für Kunst- und Kulturprojekte geworden.
Zunächst im Rahmen punktueller Veranstaltungen: Konzerte, Vorträge und Konferenzen rund um den Themenkreis „Sinti und Roma“. 2021 entschied Diepold sich dann, unter Rückgriff auf das Netzwerk, das er sich über Madhouse aufgebaut hatte, die Kunst und Kultur seines Volkes einem breiten Publikum näher zu bringen, indem er mit seinem breit gefächerten administrativen Know How in das Festival-Projekt des Musikers, Komponisten und Kulturmanagers Walter Abt einstieg. Alsbald war das europaweit angelegte DjangoO Festivals of Gypsy Music geboren, in deren Rahmen die Kultur der „Sinti & Roma“ nicht nur durch ein herausragendes und vielfältiges Musik-Angebot beleuchtet wird, sondern mehrdimensional, anhand von Filmen, Symposien, Vorträgen und Workshops.
Seit September 2016 engagiere ich mich für Sinti & Roma, u.a. indem ich deren kulturelle Belange mit meinen Social Media Möglichkeiten unterstütze und mich bemühe, Aufklärungsarbeit bezüglich dieser deutschen Minderheit zu leisten. Dabei wurde Alexanderschnell zu einem zentralen Ansprechpartner, da er mich als hochengagierter Vertreter seiner Community aus dem Stand beeindruckt hat.
Nachdem es mir jedoch in all den Jahren nicht gelungen ist, mir einen Überblick über seine vielfältigen Wirkungsfelder zu verschaffen, bat ich Alexander schließlich um eine Auflistung seiner Tätigkeiten. Womit jetzt alles klar wäre? Nicht vollumfänglich, denn die Liste seiner Ämter und Aufgaben gestaltet sich lang – seeehr lang! Siehe diese Seite ;-)
Aber auch farbig, facettenreich und umfassend im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensumstände von Sinti & Roma sowie deren Wahrnehmung seitens der Mehrheitsgesellschaft, wobei letztlich alle Aktivitäten Alexanders, trotz ihrer Heterogenität, kongenial ineinander greifen.
Befasst man sich mit Alexander Diepold, erhält man automatisch einen weitläufigen Einblick in die vielen Probleme aber auch Fortschritte deutscher Sinti & Roma innerhalb unserer Gesellschaft.
Allein durch mein dokumentarisches Begleiten von Alexander Diepolds Aktivitäten, via Handy-Fotos und Posts, habe ich viel über den Alltag und die Kultur der Sinti und Roma gelernt – und vor allem neue Freundinnen und Freunde gewonnen 🙂
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass sich Alexander Diepolds wechselvolle Vita leider exemplarisch für die dornigen Wege vieler Menschen seiner Volksgruppe gestaltet, mit einem nach wie vor breit gefächerten Bedarf an gesellschaftlichen und sozialen Nachbesserungen, gerne mit KUNST und KULTUR als ideelles Hilfsmittel.
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Das Titelbild zeigt zwei Standbilder aus dem Dokumentarfilm „Leben im Madhouse“, auf einem davon ist Alexander Diepold, zusammengefügt in einer Collage von Gaby dos Santos
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