„Pfiat di PUZZLE!“ – Mehr als nur ein Nachruf … auf das interkulturelle TV-Magazin von Özlem Sarikaya im Bayerischen Fernsehen

Genussvoll einen virtuellen Boulevard der Kulturen entlang zu bummeln, dessen Farbigkeit und Vielfalt wir unserer postmigrantischen Gesellschaft verdanken, dazu lud fünfzehn Jahre lang das TV-Magazin PUZZLE im Bayerischen Fernsehen ein. Gestartet war es 2008, mit einem innovativen Konzept, das damals seinesgleichen suchte – und – soweit ich weiß – noch immer sucht:

(…) Gemäß dem Zusatztitel „Viele Kulturen – ein Land“ widmet sich das Magazin Kulturleistungen von Menschen mit Migrationsbiografien Bayerns, die in Bereichen wie MusikTanzTheater und Literatur die Kulturszene des Landes entscheidend mitprägen.
(…)
Der Haupttitel des TV-Magazins bezieht sich darauf, dass ein Puzzle aus unterschiedlichen Teilen besteht, die nur zusammengesetzt ein Gesamtbild ergeben – und dass es in unserer Gesellschaft genauso sei. Es gehe um verschiedenste Sprachen, Religionen, Traditionen, Kulturen und Temperamente, die aufeinandertreffen und einander prägen, beeinflussen und verändern und die gemeinsam ein vielschichtiges Bild ergeben.

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Doch innovativ hin oder her: Der ungünstige Sendeplatz: – Letzter Montag im Monat, 23:00 Uhr ! – reduzierte PUZZLE zu einem jener ambitionierten TV-Magazine, die anscheinend dem öffentlich rechtlichen TV als Feigenblätter für dessen Bildungsauftrag dienen. Entsprechend füllen sie die spätabendlichen Programmlücken aus, gemäß dem Motto: Das Beste kommt immer zuletzt. Ironie Ende! Dennoch habe ich selten eine PUZZLE-Ausgabe verpasst, der Mediathek und später meinem Festplattenrecorder sei dank!

Über die Jahre stellte sich ein wohliges Déjà Vu ein, sobald Fernsehjournalistin und Moderatorin Özlem Sarikaya uns ZuschauerInnen mit ihrem elangeladenen „Hallo, hier ist wieder PUZZLE“ begrüßte, um gleich danach das erfreulich breite Spektrum an Kulturbeiträgen anzusagen, die sie uns diesmal vorstellen würde. Dabei spiegelte sich in jeder Ankündigung und jedem Beitrag die kulturelle Vielfalt wieder, die unser Land inzwischen auszeichnet und dabei keineswegs überfremdet, sondern zukunftsweisend bereichert:

  • Nicht ein Clash der Kulturen sondern kultureller Zugewinn bildet die Mitgift unserer heterogenen Gesellschaft. Eine kongeniale Plattform dazu bot PUZZLE… Dessen weitgefasstes Themenspektrum machte das Magazin zu einer Schnittstelle zwischen unterschiedlichsten künstlerischen Ausdruckformen und kulturellen Prägungen.

    Dabei jedoch verzichtete PUZZLE, trotz seines kosmopolitischen Ansatzes, nicht auf regionale Bezüge, mit vielen konkreten Veranstaltungstipps zum „Hingehen“ für das TV-Publikum in Bayern.
> Bild Credits

Ungeachtet all dieser Qualitäten kam Ende 2023, ganz unerwartet sowohl für die ZuschauerInnen wie auch für die Kulturszene, das „Aus und Vorbei!“ für PUZZLE!

(…) Es ist gewünscht, dass wir nicht länger als Kulturmagazin, sondern als Reportage/Dokuformat weiter geführt werden. Wir werden sehen, wohin uns das trägt.
(…)

Ausschnitte aus einem Post von Özlem Sarikaya am 27.11.2023 auf Facebook
  • Wie aber sollte denn eine monothematische Sendung ein breit gefächertes Magazin ersetzen und all jene Aspekte abdecken können, die PUZZLE auszeichneten? Ein einzelnes Puzzleteil ergibt nun einmal kein Bild …

(…) Wir präsentieren unsere letzte #PUZZLE-Ausgabe als #Magazin. Themen unserer postmigrantischen, diversen Gesellschaft, in der es auf jeden Einzelnen ankommt.
(…)
Diese Themen liegen uns – und damit meine ich jeden Einzelnen, der am PUZZLE-Rad mitdreht – wirklich sehr am Herzen. Vielen Dank euch

🙏

Ausschnitte aus einem Post von Özlem Sarikaya am 27.11.2023 auf Facebook
Ende November 2023: Fernsehjournalistin und Moderatorin Özlem Sarikaya weist auf Facebook auf die letzte PUZZLE-Ausgabe hin

Diese eher kryptisch formulierte Mitteilung löste eine Flut an Reaktionen in Özlem Sarikayas Facebook-Chronik aus, wobei sich in den Namen und institutionellen Funktionen der KommentatorInnen genau jene kulturelle Vielfalt wiederfand, die das Magazin über die Jahre charakterisiert hatte, ob Türken, Sinti, Serben, Deutsche, FunktionsträgerInnen oder BildungsbürgerInnen, ob nun Bellevue di Monaco oder die Kammerspiele München, in deren Räumlichkeiten viele der Interviews geführt worden waren. In den knapp neuzig Kommentaren, die innerhalb kürzester Zeit auf Özlems Post hin eingingen, zeigte sich die Wertschätzung, die wir alle ihr und ihrem Magazin entgegen bringen, gemischt mit einem „geschüttelt Maß“ an Fassungslosigkeit über das so abrupt anmutende AUS der Sendung.

Nachstehend zitiere ich, nach Rücksprache, eine der ersten Reaktionen:

„Oh nein 😢 Das ist eine sehr traurige Nachricht. #Puzzle ist so einzigartig in der deutschen Fernsehlandschaft. Wer bringt denn künftig die wichtigen migrantischen Themen in dieses Medium, das abgesehen von der bedauerlichen Klischeeberichterstattung auf diesem Auge leider eher blind ist?

Sehr, sehr schade, auch weil du, liebe Özlem, das so charmant und glaubwürdig, mit einem unvergleichlichen Gespür für die richtigen Themen zusammengestellt und moderiert hast. Alles Gute für dich! Vielleicht gibt es noch Hoffnung?


🤧 Matthias Schiller“

Besonders bitter für mich persönlich: Nach vielen Jahren als „passiv“ kulturinteressierte Zuschauerin, war PUZZLE inzwischen auch für mich zu einem wichtigen Forum für eigene Kulturthemen geworden, und ich frage mich, ob und wo diese jemals wieder in gleichwertiger Form medial platziert werden können? Die Vielfalt, die PUZZLE auszeichnete, führt nach dessen AUS eben auch dazu, dass zahlreiche Themen keine oder seltener redaktionelle Berücksichtigung finden und so erheblich an Aktualität und Rezeption einbüßen werden.

2023 beispielsweise unterstützte das Magazin mit gleich zwei Beiträgen mein Bestreben, mehr Wissen über Sinti und Roma in der Mehrheitsgesellschaft zu verbreiten. Entsprechend dankbar waren Alexander Diepold (Leiter des Familienberatungs- und Kulturzentrums Madhouse für Sinti & Roma in München) und ich über den Zugewinn an medialer Wahrnehmung durch das Engagement der PUZZLE-Crew – und entsprechend unsere Betroffenheit über die Einstellung der Sendereihe.

Alexander Diepold schreibt Ende 2023 an Özlem Sarikaya:

Es erfüllt mich mit Betroffenheit und Wehmut, dass „Puzzle“ als Format beendet wird. Damit fällt eine wichtige Stütze für uns Sinti und Roma weg, die uns in der Gesellschaft wertschätzend und auf Augenhöhe sichtbar werden ließ und in Zeiten von beänstigendem Zuwachs rechtspopulärer Parteien in ganz Europa. Vor allem die individuelle Sichtbarmachung der Virtualität, Diversität und Vielfalt unserer bunten Gesellschaft zeichnen diese großartige Sendung mit besonderem Qualitätssiegel aus.

Ich hoffe, dass es dennoch viele Anknüpfungspunkte geben wird, um weiterhin in der Öffentlichkeit präsent sein zu können. Es bleibt mir im Moment nur die Möglichkeit, Özlem Sarikays und Andreas Krieger für ihr unermüdliches Engagement zu danken.
(…)

Dreharbeiten für die Februar-Ausgabe 2023 des interkulturellen Magazins PUZZLE/BR von Özlem Sarikaya
mit zwei der ZeitzeugInnen aus der Trilogie Sinti & Roma: Elegien ...
Im interkulturellen Magazin PUZZLE
des Bayerischen Rundfunks in der Ausgabe vom 27. Februar 2023:
80 Jahre nach der Deportation nach Auschwitz
Die Münchner Sinti und die Münchner Polizei

> LINK
zum Einzelbeitrag auf br.de

Links Moderatorin ÖZLEM SARIKAYA mit ALEXANDER DIEPOLD, Gründer und Leiter des Münchner Beratungs- und Kulturzentrums für Sinti und Roma, MADHOUSE und der Sinteza Zeitzeugin RAMONA SENDLINGER;
Foto: Harald Sendlinger

Regie: ANDREAS KRIEGER

Im zweiten PUZZLE-Beitrag, im November 2023, portraitierte Regisseur Andreas Krieger Bobby Falta, den Grandseigneur des Gypsy-Swing, der mit dem djangoO-Kulturpreis 2023 für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Die Gypsy Jazz Community feiert Bobby Falta. Jetzt wurde er im Münchner Künstlerhaus für sein Lebenswerk geehrt. Seine Mutter war eine Sintezza, der Vater ein Österreicher. Begegnung mit einer Legende, dem der aufflammende Antisemitismus Sorgen bereitet.


Foto: Gitarrist Bobby Falta: Ehrung einer Legende des Gypsy-Jazz,
der den djangoO-Kulturpreis 2023 für sein Lebenswerk erhielt;
Foto: Regisseur Andreas Krieger/PUZZLE


LINK ZUR SENDUNG

Ein Beitrag von: Andreas Krieger für das interkulturelle Magazin PUZZLE im BR
Spasshafte Momentaufnahme von Regisseur Andreas Kriege, hinter Gaby dos Santos 28.10.2023, Künstlerhaus

Auch diesmal überraschte mich positiv, mit welcher Akribie das PUZZLE-Team den Beitrag ausgestaltete und sich nach Fertigstellung tatsächlich auch noch die – eigentlich nicht vorhandene – Zeit nahm, mit allen Betreffenden eine Korrektur-Sichtung durchzuführen!

Für das Bobby Falta Feature zogen sich zudem allein die Dreharbeiten im Münchner Künstlerhaus über einen ganzen Nachmittag hin und liefen anschließend noch während des gesamten djangoO-Konzerts weiter, einschließlich der Preisverleihung am späteren Abend.

Meinem Empfinden nach speiste sich jeder einzelne PUZZLE-Beitrag aus dem Herzblut Özlem Sarikayas und ihrem Team. Das wiederum deckt sich mit Özlems Aussage auf Facebook:

Diese Themen liegen uns – und damit meine ich jeden Einzelnen, der am PUZZLE-Rad mitdreht – wirklich sehr am Herzen. (…)“

Özlem Sarikaya am 27.11.2023 auf Facebook

Allein die liebevolle Zusammenstellung der letzten PUZZLE-Sendung belegt dies exemplarisch:

Heute PUZZLE (klick hier > https://lmy.de/tiNe) mit diesen Themen:

Ab sofort in der ARD Mediathek & Das Erste (klickt hier > https://lmy.de/tiNe)
oder heute Nacht um 23.30 Uhr im #BR.

(…)

Özlem Sarikayas letzte PUZZLE-Vorankündigung am 27.11.2023 auf Facebook

Um Missverständnissen vorzugreifen: Lieber eine monothematische Reportagen-Reihe MIT Özlem Sarikaya, als gar keine, aber die bisherige Vielfalt wird fehlen!

😏

Abschließend greife ich eine Formulierung Özlem Sarikayas auf: Es trifft meiner Meinung nach absolut zu, dass es in unserer jüngeren Geschichte wohl noch nie so sehr auf jeden Einzelnen von uns angekommen ist! Doch ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt setzt man eine Sendung ab, deren interkulturelle Vielfalt als medialer Kitt mehr denn je gebraucht würde, in einer sich fatal spaltenden Gesellschaft!?

Mal ganz zu schweigen von der Sache mit dem Bildungsauftrag, der sich gerade einmal mehr selbst beschnitten hat!


Titelmotiv sowie Bildcollagen im Text: Gaby dos Santos



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Veröffentlicht von Gaby dos Santos

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